Der Papst nun auch als Philosoph

Johannes Paul II. hat zu seinem 20. Dienstjubiläum eine neue Enzyklika mit dem Titel „Glaube und Vernunft“ vorgelegt – nach dem Ende des Kommunismus eine Auseinandersetzung mit dem Rationalismus  ■ Aus Rom Werner Raith

Fides et ratio heißt die neuste Enzyklika von Papst Johannes Paul II., die dreizehnte seiner auf den Tag zwanzigjährigen Herrschaft über 995 Millionen Katholiken. Kardinal Ratzinger hat das päpstliche Lehrschreiben gestern erläutert: In sieben Kapiteln soll nun auf 155 Seiten klargelegt sein, was der Gläubige von der menschlichen Vernunft und ihrem Verhältnis zum Glauben zu halten hat.

Zu erwarten – manche meinen: zu befürchten – war sie ja schon lange, die Auseinandersetzung des Karol Wojtyla mit der säkularsten der säkularen Philosophien, dem Rationalismus: Sie setzt ausschließlich aufs Räsonnieren und die stringente Ableitung des Wissens von vorausgehenden Wahrheiten und sucht daraus allgemeingültige Handlungsanweisungen zu gewinnen. Johannes Paul II. galt demgegenüber lange Zeit als eher irrationalen Motiven zugeneigt – sein Marienkult nahm teilweise exzessive Formen an, er fabulierte über den Teufel und die Hölle und fand auch sonst den eher naiven Glauben als den alleinseligmachenden Weg ins Himmelreich.

Die Wende in seinem Denken kam mit dem Zusammenbruch des von ihm bekämpften Kommunismus und dem danach scheinbar unaufhaltsamen Sieg westlich-rationalistischer Weltsicht: War nicht der Kapitalismus just auf jener Nutzung der Ratio gewachsen, die jegliche Ideologie ablehnte und nur gelten läßt, was die Vernunft einsichtig macht? Irgendwann wurde es Wojtyla und seinen Beratern offenbar klar, daß er das Teufelswerk unserer Zeit nicht mehr alleine im atheistischen Marxismus, sondern auch im schrankenlosen Rationalismus sehen mußte. Und daß er dies nur bekämpfen konnte, wenn er die Methoden dieser Philosophie selbst in seine Auseinandersetzung einbezog.

Bereits in der Enzyklika „Centesimus annus“, aus Anlaß der ersten großen Sozialenzyklika Leos XIII. verfaßt, lenkt Wojtyla um: Der Einsatz der Vernunft gebietet, so 1991 der Tenor des Lehrschreibens, das Wohl aller Menschen zu bedenken und nicht nur die grenzenlose Förderung des Denk- und Machbaren anzustreben.

Daher nun „Fides et ratio“. Auf einmal sind Glauben und Vernunft keine Gegensätze mehr, sondern zielen auf das gleiche: „Die Suche nach dem Wahren.“ Beide, Ratio und Fides, gehen „von den gleichen Fragen aus: Wer bin ich? Woher komme ich, wohin gehe ich? Was kommt nach dem diesseitigen Leben?“ Und „weil das absolut Wahre Gott ist“, bedeutet ein Vorgehen nach der Vernunft nichts anderes als das Vorgehen nach dem Glauben. „Es sind die beiden Flügel, auf denen sich der menschliche Geist zur Wahrheit erhebt“, sagt die neue Enzyklika. So ganz will der Papst aber doch nicht diesem „Zwillingspaar menschlicher Weltgestaltung“ überlassen, was am Ende herauskommt: Es soll schon etwas Positives sein. Nicht das „schwache Denken“ der „Neuen Philosophie“, sondern „Hoffnung und freudvolle Perspektiven für die Zukunft“. Ob's der Vernunft recht ist oder nicht.