Eine Wohltat, die nicht jeder will

■ Zeitungszusteller, Kassiererinnen, Kellner arbeiten häufig in sogenannten 620-Mark-Jobs ohne Sozialabgaben. Rot-Grün will das ändern. Mini-Jobber sollen zumindest Rentenbeiträge zahlen, hinzuverdienende Hausfrauen auch Krankenversicherung. Wem nützt die neue Abgabenlast? Erst mal vor allem den Sozialkassen

Sie bringen die Zeitungen morgens an die Haustür, putzen Büros und füllen Regale im Supermarkt auf: Mehr als fünfeinhalb Millionen Beschäftigte jobben in Deutschland auf „geringfügiger Basis“. Zehn bis höchstens 15 Stunden Ackerei in der Woche, dafür gibt's am Monatsende 620 Mark brutto für netto. Nicht mehr lange: Nach den Plänen der rot- grünen Regierung sollen die Mini- Jobber demnächst Renten- und teilweise auch Krankenversicherungsbeiträge berappen. Die Arbeitgeber müssen hohe Sozialabgaben zahlen. Nächste Woche soll der Gesetzenwurf in den Bundestag eingebracht werden.

Eine Sprecherin des Arbeitsministeriums bestätigte gestern die wichtigsten Eckpunkte des rot- grünen Entwurfs. Danach müssen die Mini-Jobber demnächst zehn Prozent Rentenbeitrag zahlen. Ehefrauen, die schon über ihren Mann krankenversichert sind, müssen zusätzlich noch rund sieben Prozent Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag berappen. Die Arbeitgeber sollen die halben Beiträge aus allen vier Sozialversicherungssparten entrichten, also 20 Prozent vom Lohn (siehe nebenstehenden Beitrag).

Über die Frage der künftigen Besteuerung der Mini-Jobs herrschte gestern allerdings noch „Begriffsverwirrung“, erklärte die Ministeriumssprecherin, „das wird sich in den nächsten Tagen klären.“ In seiner Regierungserklärung hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärt, die bisherige Pauschalbesteuerung der Mini-Jobs von 20 Prozent solle künftig wegfallen. Das Arbeitsministerium hingegen geht davon aus, daß die Pauschalbesteuerung „erhalten bleibt“, so die Sprecherin.

Wird die Pauschalsteuer abgeschafft, müßten die Arbeitnehmer ihr Minigehalt voll selbst versteuern.

Bleibt die Pauschalsteuer jedoch erhalten, müßten die Arbeitgeber künftig die Pauschalsteuer und ihren Anteil an den Sozialversicherungsbeiträgen bezahlen. Bisher konnten die Unternehmer die 20 Prozent Pauschalbesteuerung auf die Beschäftigten abwälzen. Das soll nach dem künftigen Konzept verboten sein.

Die rot-grünen Sozialpolitiker rechnen mit Mehreinnahmen von zwei Milliarden Mark durch die neue Versicherungspflicht. Die Beschäftigten erwerben durch die neuen Abgaben jedoch nur einen sehr geringen Rentenanspruch. Dennoch verteidigte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ursula Engelen-Kefer, die rot-grünen Pläne: Viele Frauen, die unterbrochene Berufsverläufe hätten, erlangten durch die geringen Rentenbeiträge dann eine durchgehende Erwerbsbiographie und erhielten erst dadurch am Ende ihres Berufslebens einen Rentenanspruch.

Einzelhandelsverbände und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) protestierten gestern gegen die rot-grünen Pläne. Dadurch würde sich die für „unsere Betriebe unverzichtbare Beschäftigungsform um über 30 Prozent verteuern“, erklärte Dehoga-Präsident Erich Kaub. Die Branche sei zu 95 Prozent mittelständisch strukturiert. „Im Fall der Streichung der Lohnsteuerpauschale und statt dessen Einführung der Individualbesteuerung wird von den Arbeitnehmern die Forderung an die Arbeitgeber gestellt werden, den Nettoverlust des Arbeitnehmers auszugleichen. Dieser zusätzliche Personalkostendruck gefährdet weiter die Wettbewerbsfähigkeit der Branche in Deutschland und in Europa“, so Kaub.

Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) befürchtet, daß bei sinkendem Nettolohn „die meisten Beschäftigten kein Interesse“ mehr hätten, „die Arbeitsangebote anzunehmen“. Damit die betroffenen Mitarbeiter weiterhin ihr altes Nettogehalt bekämen, müßten die Unternehmer das Gehalt erheblich aufstocken. Viele der Einzelhändler könnten diese Kostensteigerungen nicht verkraften.

Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sind von den ausschließlich geringfügig Beschäftigten gut 40 Prozent Ehefrauen, 25 Prozent Schüler und Studenten, knapp zehn Prozent Rentner und sieben Prozent Alleinerziehende. Laut DIW-Studie würde sich aufgrund einer Sozialversicherungspflicht ein Teil der verheirateten Frauen aus dem Erwerbsleben zurückziehen. Wahrscheinlich würde die Aufhebung der Versicherungsfreiheit aber auch zu mehr Teilzeitarbeitsplätzen mit höherer Stundenzahl führen. Barbara Dribbusch