■ Heiner Geißler und die PDS bringen die CDU in Wallung
: Schizophrene Verhältnisse

Da sage noch einer, die Union sei unfähig zur schlagkräftigen Opposition. Hanebüchenen Unsinn macht der CSU-Vorsitzende Theo Waigel aus, politischer Schwachsinn, sekundiert sein Generalsekretär Protzner, inakzeptabel und weit von der Realität entfernt, faßt die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel zusammen. So geschlossen, so wortgewaltig kann die Union sein – wenn es gegen einen der ihren geht.

Heiner Geißler hat mal wieder seine Partei gegen sich aufgebracht. Er hat das schizophrene Verhältnis der CDU zur PDS gegeißelt, das zwischen kommunaler Zusammenarbeit und grundsätzlicher Ablehnung pegele. Und genau die Schizophrenie, die er beklagt, legt nun die Partei wieder an den Tag. Am deutlichsten ist das Krankheitsbild zur Zeit beim Partei- und Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble ausgeprägt. Der findet Geißlers Äußerungen völlig unverständlich und meint, daß man die PDS nicht bekämpfe, indem man mit ihr zusammenarbeite. Es ist der gleiche Schäuble, der sich noch Anfang Oktober für einen pragmatischen Umgang mit früheren SED-Mitgliedern und PDS-Anhängern ausgesprochen hat. Denn man müsse anerkennen, daß es im geteilten Deutschland andere Lebenswege gab. Es müsse ein Recht auf Korrektur früheren Verhaltens geben.

Was ist in den sechs Wochen zwischen diesen beiden Äußerungen passiert? Wieso jetzt der plötzliche Ausbruch einer bereits überwunden geglaubten Lagermentalität. Die CDU ist seit dem Machtverlust desorientiert, lautet der erste Befund. Dafür hat jetzt der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf eine passende Therapie entwickelt: Die Union muß sich öffnen und die widerstreitende Debatte wieder zulassen, die Kohl jahrelang unterdrückt hat. Erst so kann eine Diagnose gefunden werden.

Den zweiten Befund liefert die PDS. Deren Bindung an die realsozialistische Vergangenheit ist weit enger, als ihre Protagonisten es öffentlich glauben machen wollen. Das bezeugt der Vorstoß der rechtspolitischen Sprecherin Evelin Kenzler für eine Amnestierung der wegen DDR-Unrecht verurteilten Straftäter, Haftentschädigung inklusive. Die Verbindung dieser beiden Forderungen zeugt von einem für eine Juristin geradezu bedenklichen Maß an Rechtsunkenntnis. Die noch nicht einmal halbherzige Zurückweisung durch den PDS-Bundesvorstand belegt, wie wenig verbreitet ein Unrechtsbewußtsein ist. In der Amnestie einen Akt der gesellschaftlichen Aussöhnung zu sehen, bezeugt die elitäre, geradezu arrogante Haltung, für die bereits die PDS-Vorgängerin SED gefürchtet war. Im gleichen Geist spricht der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky, wenn er Ulbricht als bedeutenden Staatsmann feiert. In der gleichen Tradition steht eine Gudrun Tiedge, die meint, im sachsen-anhaltischen Landtag dem Ausschuß für Recht und Verfassung weiter vorsitzen zu können, obwohl sie ihre Stasi-Mitarbeit kaschierte.

Für all dies muß man in der Tat nicht mit der PDS zusammenarbeiten. Man kann aber mit ihr kooperieren, weil sie eine nennenswerte Wählerschaft vertritt. Man kann sogar mit ihr koalieren, sofern man im jeweiligen Programm dafür eine ausreichende gemeinsame Grundlage sieht. Das eine zu tun und das andere nicht zu lassen, ist die Kunst der Politik in den ostdeutschen Ländern. Sie wird gleichermaßen der CDU wie der SPD abverlangt. Solange das Ob der Zusammenarbeit in Frage stand, war die PDS nicht gefordert, denn in der ideologischen Debatte ist sie geschult. Erst das Wie verweist sie auf die Widrigkeiten einer praktischen Alltagspolitik. Deshalb hat Heiner Geißler recht, wenn er eine Zusammenarbeit für möglich hält, und deshalb tut die SPD in Sachsen-Anhalt Unrecht, wenn sie ihrem Tolerierungspartner PDS die Personalie Tiedge durchgehen läßt. Dieter Rulff