: Warten auf den Krieg
■ Die Kosovo-Krise zeigt: Europa ist geographisch eine Einheit, politisch ohne Stimme, ohne gemeinsames Konzept und ordnende Hand
Skeptiker hatten vorausgesagt, länger als über den Winter würde die brüchige Waffenruhe im Kosovo nicht halten. Die Prognose war zu optimistisch. Noch ehe das alte Jahr endete, wurde in der Krisenprovinz wieder getötet. An die hundert Opfer zählt die Bürgerkriegsbilanz des Dezember. Keine Spur von Frieden, nicht einmal von bescheidensten Fortschritten auf dem Weg zur Beilegung des Konflikts.
Dies aber war bezweckt, als die Nato vor einem Vierteljahr der Belgrader Regierung mit Luftschlägen drohte. Gleich nach Abwendung der humanitären Katastrophe sollten die Konfliktseiten zusammenkommen, um eine politische Lösung für den Kosovo auszuhandeln. Die Menschen, die in die Wälder geflohen waren, sind inzwischen in ihre Dörfer zurückgekehrt. Verhandlungen finden indessen nicht statt. Kostbare Wochen sind ungenutzt verstrichen.
Am ehesten kann noch Milosevic behaupten, seine Auflagen erfüllt zu haben. Die serbischen Sicherheitskräfte sind auf den Umfang von März 1998 zurückgeführt, ehe die Kosovo-Albaner zum bewaffneten Widerstand übergingen und die Kampfhandlungen ausbrachen. 10.000 Soldaten und 5.000 Polizisten stehen heute im Kosovo. Das entspricht der im Oktober 1998 mit Holbrooke getroffenen Übereinkunft. Auch in der Frage der politischen Zukunft der Unruheprovinz hat sich Belgrad unter dem Druck des Nato-Ultimatums offenbar auf Zugeständnisse festlegen lassen. Die genauen Einzelheiten sind nicht bekannt, da beide Seiten den Wortlaut der Vereinbarung unter Verschluß halten. Aber die Rede ist von einem direkt gewählten Parlament, einem Präsidenten und eigenen Verwaltungs- samt Polizeistrukturen. Das würde auf ein Autonomiemodell hinauslaufen.
Zugleich gab die serbische Regierung die Ablehnung einer Forderung auf, gegen die sie sich am hartnäckigsten gesträubt hatte. Die Beteiligung ausländischer Vermittler war stets als Einmischung in die inneren Angelegenheiten verweigert worden. Mitte November ging jedoch die Einladung zu einer ersten Gesprächsrunde auch an die Kosovo-Beauftragten der USA und der Europäischen Union. Ein Treffen kam gleichwohl nicht zustande. Aus der Führung der Kosovo-Albaner fand sich kein teilnahmewilliger Vertreter.
Daß die Albaner des Kosovo das Gesprächsangebot boykottieren, ist aus ihrer Sicht nur schlüssig. Am Verhandlungstisch können sie mehr als einen autonomen Status nicht erreichen. Ihr Ziel ist jedoch die vollständige Loslösung von Belgrad. Anders als der gewählte Präsident Rugowa, dem der gewaltlose Protest internationale Sympathie, aber keine Erfolge eintrug, kann die UCK, die auf die Sprache der Waffen setzt, Resultate vorweisen. Sie hat der Kosovo-Frage weltweite Publizität verschafft und die westliche Allianz bis an die Schwelle des militärischen Eingreifens gelockt. Sie beherzigt die Einsicht, daß im Medienzeitalter den Krieg beherrscht, wer über die Bilder des Krieges herrscht. Sie wartet auf eine neue Gelegenheit.
Die Rechnung verspricht aufzugehen, solange nichts dazwischenkommt. Das könnte nach Lage der Dinge nur die internationale Gemeinschaft mit einem kohärenten Lösungsansatz sein. Davon jedoch ist wenig zu spüren. Der amerikanische Unterhändler Hill kolportiert seinen Friedensplan in wöchentlich wechselnden Varianten. Außerdem unterhält die EU einen eigenen Emissär, von dem keine Initiativen bekannt geworden sind.
Sich selbst überlassen, werden die Kriegsherren in Belgrad und Pristina den Ausweg kaum finden. Ohnehin möchten sie die Sache viel lieber ausfechten. Entschuldigt das auch den Dämmerschlaf der internationalen Politik?
Der Kosovo ist ein Krisenherd überschaubarer Dimension. Aber er liegt inmitten eines explosiven Umfeldes. Es bedarf keiner übermäßigen Anstrengung, den für alle Seiten zumutbaren Kompromiß zu formulieren. Allerdings muß diese Lösungsformel dann auch umgesetzt werden – mit politischem Druck, mit ökonomischen Anreizen und durch eine ebenso entschiedene wie geschmeidige Konfliktdiplomatie. Die Botschaft Europas an die Serben, Albaner und Roma sollte lauten: Ihr bekommt, was euch zusteht, aber ihr bekommt es nicht durch Gewalt.
Die Kraftlosigkeit der internationalen Kosovopolitik hat einen tieferen Grund: Es fehlt an vereinbarten Maßstäben zur Bewertung innerstaatlicher Konflikte. Nationale Interessen und diffuse Freund-Feind-Bilder bestimmen, ob bewaffnete Auflehnung gegen repressive Herrschaft als Freiheitskampf oder als Terrorismus gilt. Politische Doppelzüngigkeit ist die Folge. Betreibt Serbien eine andere Minderheitenpolitik als die Türken? Was unterscheidet die Albaner im Kosovo von den Kurden in Ostanatolien? Oder die UCK von der PKK? Gibt es guten und bösen Separatismus? Der Regierung in Ankara wird nachgesehen, wenn sie innenpolitische Gegner auch über die Landesgrenzen hinaus verfolgt. Gewohnheitsmäßig operiert sie mit regulären Streitkräften auf dem Territorium des Irak, ohne Sanktionen oder militärische Drohungen befürchten zu müssen. Täuscht der Eindruck, ein Unterdrückerstaat brauche nur der Nato anzugehören, um straflos davonzukommen?
Zehn Jahre nach dem Abgesang des Ost-West-Konflikts liegt das Gebrechen europäischer Sicherheit offen zutage: Europa ist nur geographisch eine Einheit, politisch ohne Stimme, ohne gemeinsames Konzept, ohne ordnende Hand. Die Instanz, die beides vereint, die unzweifelhafte Autorität und die wirksamen Mittel, um zivilisiert und im Einklang mit den Regeln des Völkerrechts auf dem engräumigen Kontinent Blutvergießen zu verhindern – diese Instanz existiert nicht.
Flugzeugträger, Kampfbomber, Raketen zusammenzuziehen, um irgendwo massive Feuerkraft in Stellung zu bringen? Kein Problem, dafür gibt es die Nato. Aber die Not ist groß, wenn es gilt, eine bescheidene Truppe ziviler Beobachter herbeizuschaffen, die einen Waffenstillstand überwachen soll. Personal, Ausbildung, Logistik: Fehlanzeige! Statt der vorgesehenen 2.000 Verifikatoren für den Kosovo-Auftrag bringt die OSZE nur 1.600 zusammen. Einzuspielen beginnt sich der Brauch, daß immer, wenn die Politik mit ihrem Latein am Ende ist, von jenseits des Atlantiks das Kommando ertönt: Luftschläge. Dann werden wieder 15 folgsame Nato-Partner Bündnissolidarität demonstrieren. Und in Bonn 500 ratlose Abgeordnete verschämt die Hand heben. Reinhard Mutz
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