Rußland will am Müll genesen

Eidgenössische Firmen erwägen eine Endlagerung ihrer radioaktiven Abfälle in Rußland. Dortige Umweltschützer befürchten Gesetzesänderungen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Schweizer Atomstrombetreiber suchen nach einer sauberen Möglichkeit, um den in 40 Betriebsjahren in der Eidgenossenschaft angefallenen Atommüll außer Landes zu schaffen. Im September vergangenen Jahres trafen sich Vertreter der Schweizer Elektrizitätsgesellschaft Laufenberg AG und Abgesandte des russischen Atomministeriums (Minatom) in Zürich. Das geht aus einer vertraulichen Absichtserklärung der Verhandlungspartner hervor, die Greenpeace dieser Tage veröffentlichte.

Bis zum Jahr 2030 plant die Schweiz, jährlich zwischen 50 bis 80 Tonnen Schwermetalle nach Rußland auszulagern. 550 Kubikmeter des Abfalls sollen womöglich in Rußland wiederaufbereitet und in die Schweiz zurückgeliefert werden. Das Protokoll hebt indes ausdrücklich hervor: Die wünschenswerteste Option der Schweizer Betreiber „ist die Lieferung verbrauchten Treibstoffes in das Gebiet der Russischen Föderation ausschließlich zum Zwecke der Endlagerung“. Denn das russische Umweltrecht gestattet die Einfuhr von verbrauchten Brennstoffen nur, wenn sie wiederaufbereitet und zurückgesandt werden. Weil die Schweizer Betreiber bestehendes Recht nicht verletzen wollen, vermerkt das Protokoll als Voraussetzung die „Übereinstimmung der beabsichtigten Endlagerungsdienste mit der Gesetzgebung der Russischen Föderation“. Auch die an den Verhandlungen beteiligte und in Deutschland ansässige Transportfirma Internexco beteuert: „Bei der jetzigen Rechtslage werden wir das wohl nicht machen.“ Internexco ist ein deutsch- russisches Gemeinschaftsunternehmen, in dem die staatliche russische Firma Techsnabexport 51 Prozent und die deutsche Urangesellschaft mit Sitz in Frankfurt/M. 49 Prozent Anteile halten. Annette Both von Internexco weist die Aufregung als unbegründet zurück. Man habe Gespräche „im in der Wirtschaft üblichen Rahmen der Vertraulichkeit geführt“. Von Geheimhaltung könne keine Rede sein.

Umweltschützer in Rußland befürchten, die Atomlobbys in Ost und West könnten auf die Staatsduma Druck ausüben, um die rechtlichen Rahmenbedingungen zu ändern. „Hört ein russischer Bürokrat Dollar knistern, verliert er sein menschliches Antlitz“, meint Igor Forofontow von Greenpeace Moskau. Das Atomministerium will die Abgeordneten schon länger zur Novellierung des Gesetzes bewegen. Rußlands Parlamentarier stehen nicht gerade in dem Ruf, lukrativen Angeboten grundsätzlich die Aufmerksamkeit zu verweigern. Minatom rechnet langfristig mit einem guten Geschäft. Kann es doch die Angebote der englischen und französischen Wiederaufbereiter um etwa die Hälfte unterbieten. Zudem übernehmen Westfirmen nicht die Endlagerung. Der Schweizer Elektrizitätswirtschaft würde es den Einstieg in den liberalisierten europäischen Markt sichern.

Das Werk Majak in der Nähe von Tscheljabinsk ist die einzige Einrichtung des Landes, die sich auf die Wiederaufbereitung von Brennstoffen aus dem militärischen und zivilen Bereich spezialisiert hat. Dennoch „reichen die technischen Voraussetzungen bei weitem nicht aus“, stellt die Staatsanwaltschaft fest. In der Umgebung Majaks und im sibirischen Krasnojarsk, wo man ebenfalls eine Wiederaufarbeitungsanlage errichten möchte, liegen bereits heute 400 Millionen Kubikmeter Abfälle in einem See und in Wasserbassins unter freiem Himmel.