Brasilien-Schockwelle ebbt langsam ab

Die Börsen erholen sich wieder nach der Abwertung der brasilianischen Landeswährung Real, aber die Sorgen bleiben. Die Kapitalflucht aus Brasilien hält an. Morgen will die G 7 über die Brasilienkrise beraten  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Langsam überwinden die Anleger den Schock, den sie durch die Abwertung der brasilianischen Währung Real am Mittwoch erlitten hatten. Nach einem heftigen Einbruch um fünf Prozent erholten sich gestern etwa in Frankfurt die Aktienkurse wieder spürbar. Die japanische Börse legte gar um zwei Prozent zu. In New York, wo vorgestern der Dow Jones zeitweise auch fünf Prozent verloren hatte, schloß die Börse doch noch mit einem Minus von nur 1,3 Prozent. Selbst in Brasilien eröffnete die Börse gestern fester. „Das Schlimmste haben wir wohl hinter uns“, sagte ein optimistischer Aktienhändler in São Paulo.

US-Händler erklärten die schnelle Beruhigung damit, daß die brasilianische Finanzkrise anders als die 1997er Asienkrise nicht überraschend gekommen sei. Die Börsen in Süd-Korea und den Philippinen verloren dennoch auch gestern über vier Prozent. Hier herrscht die Furcht, daß sich ausländische Investoren wegen der Brasilienkrise wieder aus den Schwellenmärkten zurückziehen.

Auch in Brasilien selbst atmet man noch nicht auf. Im Gegenteil, die Kapitalflucht setzte sich noch fort. Am Mittwoch haben schätzungsweise knapp zwei Milliarden Dollar das Land verlassen. 2,27 Milliarden waren es am Dienstag gewesen. Daraufhin hatte die Regierung die Stützung des hohen Kurses der Landeswährung Real aufgegeben und eine Abwertung um acht Prozent zugelassen. Ausgelöst worden war die Krise durch ein Schuldenmoratorium des Bundesstaates Minas Gerais.

Jetzt lautet die bange Frage, ob die brasilianische Regierung es schafft, die Abwertung des Real zu begrenzen. Immerhin bleiben ihr noch 45 Milliarden Dollar Devisenreserven sowie das IWF-Kreditpaket in Höhe von 41,5 Milliarden Dollar. Doch der Chefsvolkswirt der Investmentbank Merril Lynch urteilte gestern: „Der Real wird weiter sinken müssen, um sein Gleichgewicht wiederzufinden.“

Das jedoch dürfte den brasilianischen Präsidenten Henrique Cardoso vor massive politische Probleme stellen. Seine Glaubwürdigkeit hängt von der Zähmung der brasilianischen Inflation ab, und die wiederum gelang nur durch die faktische Bindung des Real an den US-Dollar. Die Regierung drohte bereits, notfalls die mit 28 Prozent schon jetzt tödlich hohen Zinsen weiter zu erhöhen, wenn es zur Verteidigung des Wechselkurses nötig sei.

Ob sich das Vertrauen der Anleger wiederherstellen läßt, wird aber in erster Linie vom Abbau des gigantischen Haushaltsdefizits abhängen. Dem Internationalen Währungsfonds fiel daher keine andere Antwort auf die aktuellen Krise ein als die Mahnung, die Regierung möge weiter ihre Sparmaßnahmen fortsetzen.

In den USA nimmt man die Brasilienkrise äußerst ernst, da Lateinamerika als Exportmarkt für die US-Wirtschaft genauso wichtig ist wie Asien. Ob und wie Brasilien geholfen werden kann, darüber wollen morgen die sieben Industrieländer der G 7 beraten.