Kommentar: Lernbeispiel für die Toskana-Fraktion
■ Italiens Regierung legalisiert 250.000 Illegale
Italien zeigt, wie man's machen kann, wenn man nur will: Als erster EU-Staat hat sich das Land schon vor einem Jahr ein echtes Einwanderungsgesetz gegeben – und endlich mit der törichten Fiktion aufräumt, Europa sei nur Gast- und damit Zeitarbeitergebiet, aber kein Kontinent für Einwanderer. Nun legalisiert die Regierung all jene, die sich im Land Arbeit und Wohnung verschafft haben, fast eine Viertelmillion auf einen Streich. Und trotz mächtiger Proteste der nationalistischen Rechten und der oberitalienischen Ligen soll auch noch das Staatsbürgerrecht renoviert werden: Wer auf italienischem Territorium geboren ist, darf Italiener sein. Und den Paß seiner Vorfahren dazu behalten.
Daß die Rechte dagegen motzt, war vorauszusehen. Aber trotzdem sind selbst aus dieser Ecke – sieht man von einigen Hitzköpfen der Mailänder Liga-Bewegung ab – weniger aggressive und xenophobe Sprüche zu hören als in Deutschland. Bemängelt wird vor allem, daß die Zuwanderer nicht sonderlich streng kontrolliert werden und eine Sogwirkung eintreten könnte, wenn alle paar Monate illegale Einwanderer Möglichkeiten zur Legalisierung bekommen. Ängste vor Kriminellen aus der „Dritten Welt“ gibt es, aber im Mafia-Land hat man auch mit solchen Gesellen zusammenzuleben gelernt.
Der Grund für diese „weiche“ Linie sehen die meisten darin, daß Millionen von ihnen Verwandte in anderen Ländern haben, die dort gut aufgenommen wurden, als es Italien wirtschaftlich und politisch mies ging – Anfang des Jahrhunderts, während des Faschismus, in der Nachkriegszeit. Doch das alleine kann es nicht sein, denn auch Deutsche sind zu Hunderttausenden ausgewandert, als alles am Boden lag. Ein Gefühl für solche Situationen hat sich bei den Daheimgebliebenen trotzdem nicht herausgebildet.
Es scheint, als ob bei vielen Italienern eine andere Einstellung zum Mitmenschen in Not herrscht als in Deutschland. Das Wort „Wirtschaftsflüchtling“, in Deutschland eine Schimpf- und Hetzparole, hat in Italien einen ganz anderen Klang – es steht bei vielen wesentlich höher als das des „politisch Verfolgten“. Man kann sich notfalls politisch unterordnen, aber wo es nichts zu essen gibt, hilft auch das nichts. Vielleicht täte die famose Toskana-Fraktion, die ja nun dicke in der Regierung zu Bonn/Berlin sitzt, einmal gut daran, sich etwas Inspiration aus dem Süden zu holen.
Werner Raith Bericht Seite 10
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