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Heute treten Ungarn, Polen und Tschechien offiziell der Nato bei. Die sicherheitspolitischen Probleme Europas und die Frage nach der künftigen Rolle Rußlands bleiben dadurch aber weiter ungelöst  ■ Von Andreas Zumach

Genf (taz) – Heute werden die drei osteuropäischen Staaten Polen, Ungarn und Tschechien offiziell in die westliche Militärallianz Nato aufgenommen. Als vor zehn Jahren die Berliner Mauer fiel und in der Folge auch das östliche Gegenbündnis Warschauer Vertragsorganisation (WTO), war eine solche Entwicklung nicht voraussehbar. In allen Hauptstädten Europas und Nordamerikas wurde damals die Absicht bekundet, alle sicherheitspolitischen Belange der Staaten und Völker zwischen Atlantik und Ural künftig gemeinsam zu organisieren.

Im November 1990 erklärten die Staats- und Regierungschefs der damals 35 Staaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) auf ihrem Pariser Gipfeltreffen in einer „Charta für eine neues Europa“ diese KSZE zum Kernstück der europäischen Architektur.

Unter den Gipfelteilnehmern, die besonders vehement auf eine institutionelle Stärkung dieser Organisation drängten und ihre Ausstattung mit zusätzlichen politischen Kompetenzen sowie Ressourcen forderten, gehörten Lech Walesa (Polen), Václav Havel (Tschechoslowakei) und Joszef Antall (Ungarn). Zwei Jahre später waren in Warschau, Prag, Budapest und anderen westeuropäischen Hauptstädten die Hoffnungen auf die KSZE weitgehend verflogen. Denn die Bekundungen des Pariser Gipfels hatten sich als Lippenbekenntnisse erwiesen.

Zumindest auf Seiten der 16 Nato-Staaten. Diese konzentrierten sich darauf, das Militärbündnis nach dem Verschwinden seines Gegenpols neu zu legitimieren. In diesem sicherheitspolitischen Vakuum entstand der Drang der Osteuropäer in die Nato. Insbesondere in Polen wurde er noch verstärkt durch die Turbulenzen in der Sowjetunion.

Auf westlicher Seite wurde die Idee der Nato-Osterweitung zunächst von deutschen Politikern der CDU/CSU betrieben. Schon im Frühjahr 1991 plädierte der frühere Bundesverteidigungsminister und damalige Nato-Generalsekretär Manfred Wörner für eine Erweiterung der Nato „um all die Staaten, mit denen uns eine gemeinsame Geschichte, Kultur und Religion verbinden“. Nach seiner Auffassung gehörten dazu neben Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei auch Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Interessanterweise machte der Nato-Generalsekretär diese Aussagen, noch bevor Jugoslawien und die Tschechoslowakei in mehrere neue Staaten zerfielen.

Doch zunächst überwog bei Deutschlands Nato-Partnern die Skepsis gegen eine Aufnahme neuer Mitglieder – vor allem in Washington. Das Programm „Partnerschaft für den Frieden“, der „Nato-Kooperationsrat“ und andere Formen der Zusammenarbeit zwischen der westlichen Allianz und den osteuropäischen Staaten waren für die Clinton-Administration bis Mitte 1994 ein Versuch, eine formale Aufnahme neuer Mitglieder zu vermeiden.

Doch die osteuropäischen Lobbys in den USA arbeiteten mit erheblichen finanziellen Mitteln und waren bei Präsident Clinton und vielen anderen KandidatInnen der Demokratischen Partei für die Wahlen 1994 und 1996 sehr erfolgreich. Auch die US-Rüstungsindustrie hatte inzwischen die Absatzchancen erkannt, die sich ihr bei einer Aufnahme osteuropäischer Staaten in die Nato bieten würden. 1995 gab Washington seine Bedenken gegen die Osterweiterung auf. Beim Madrider Nato-Gipfel vom Juli 1997 wurde die Aufnahme Polens, Ungarns und der Tschechichen Republik offiziell beschlossen und den inzwischen zehn weiteren Bewerbern (darunter Slowenien, Kroatien und Rumänien) eine zweite Erweiterungsrunde in Aussicht gestellt.

Seitdem wurden in Washington und anderen westlichen Hauptstädten auch ursprüngliche Prognosen über erhebliche Belastungen der Volkswirschaften Polens, Ungarns und Tschechiens durch den Nato-Beitritt kräftig nach unten korrigiert. In einer ersten Studie hatte das Haushaltsbüro des US-Kongresses vorausgesagt, die Anpassung dieser Länder an Nato-Standards werde bis zum Jahr 2010 zu Steigerungen der nationalen Militärhaushalte von jährlich mindestens fünf Prozent sowie erheblichen Einschnitten in anderen Ressorts führen.

Doch die Aufrechterhaltung derartiger, durchaus realistischer Prognosen hätte in Warschau, Budapest und Prag die Opposition gegen einen Nato-Beitritt gestärkt. Außer einem möglicherweise erhöhten subjektiven Sicherheitsgefühl Polens, Ungarns und der Tschechischen Repbulik bringt der Nato-Beitritt dieser Länder für keinem der sicherheitspolitischen Probleme Europas Erleichterung. Auch wenn die Kritik aus Moskau leiser geworden ist: Für die Lösung der zentralen Frage nach der künftigen Rolle Rußlands und seiner gleichberechtigten Einbindung in eine europäische Sicherheitsarchitektur könnte sich die Nato-Erweiterung als zusätzliches Hindernis erweisen.