Die Trendmaschine errorisieren

Wie man aus Fehlern und Störgeräuschen ein eigenes ästhetisches System entwickelt: Das Berliner Magazin „Artefakt“ beschäftigt sich mit Musik und Klängen abseits von Pop, Akademie und Formatradios  ■ Von Andreas Hartmann

Pop. Ob im Theater oder bei McDonalds, im Feuilleton der Zeit oder den Vorstandsetagen von VW oder Ford: Das Dreibuchstabenwort hat es in sich, es ist Wunderwort für wirklich alles und jedes, egal wo auf der Welt, geworden. Auch an der gegenwärtig stattfindenden Musik läßt sich mittlerweile unter Pop alles subsumieren. Indierock, elektronische Musik, HipHop in den Staaten oder Deutschland, an Pop richten sie sich auf, an Pop sollen sie genesen.

Jeden Monat werden dafür unzählige neue Platten, Genres, Bewegungen und Veränderungen in den Zentralorganen des Musikjournalismus, von der Spex bis zur Jazzthetik, unter die Lupe genommen, diskursiv ausgewertet, gelabelt, für gut oder schlecht befunden. In das Rauschen der amtlichen Bewertungsstellen klinken sich Stadt- und Tageszeitungen, MTV und das Radio ein. Diese multimedialen Verzahnungen produzieren regelmäßig „wichtige“ Platten und Hypes, damit der Laden, der sich Musikbusineß nennt, brummt.

Die Trendmaschine also läuft und läuft, und doch gibt es immer wieder unkommerzielle Special- interest-Magazine, gemeinhin auch Fanzines genannt, die losgelöst von der Welt da draußen in sich und den eigenen Vorlieben ruhen. Die bekommt man nicht am Kiosk, selten im Plattenladen des Vertrauens, sondern meist über die Privatadresse des Herausgebers.

Ein Fanzine dieser etwas anderen Art ist auch Artefakt, das Annibale Picicci und Angelika Teschner in Berlin herausgeben. Beschäftigt es sich doch mit Musik, die pophistorisch zu keiner Zeit wirklich en vogue war und ist. Mit Musik, die sich schon immer als zu widerborstig, unvermarktbar, obskur und unkommerziell gegeben hat, um jemals in einem größeren Rahmen wahrgenommen zu werden. Will heißen: Geräuschmusik, Toncollagen, Elektro-Akustik, Maschinenlärm, Ambient, minimale Elektronik. Klangkunst, die nach der Offenheit des Hörers verlangt, die avanciertes Musikverständnis nahelegt und nicht als „Krach“ abgetan werden will. Die sich über ihre geschichtlichen Ursprünge im Futurismus Anfang des Jahrhunderts über Musique concrète in den Fünfzigern und Industrial der Endsiebziger heute zu einem Ableger neuer elektronischer Musik entwickelt hat.

In Artefakt findet etwas einen Platz, was sonst nirgends zu Hause ist, was für das Formatradio unspielbar ist, was aber auch nicht aus der Akademie kommt. Schnittstellen zu Pop gibt es da höchstens im Rahmen elektronisch experimenteller Tanzmusik.

Piciccis Grundgedanke ist es, „daß es ein Erbe an Musik und (Sub)kultur gibt, das weitestgehend einer Industrial-kultur entsprungen ist. Was den Umgang mit Technologie betrifft. Den Ursprung kann man auch viel früher setzen, man sollte eh nicht von einem puristischen Ursprungsgedanken ausgehen. Dessen Erbe hat sich verwässert, es hat sich atomisiert. Techno, neue elektronische Musik, Elektro-Akustik. Alles Arme, die miteinander etwas zu tun haben, aber meist bloß getrennt voneinander wahrgenommen werden. Die Idee von Artefakt ist, alle diese Arme auf einem diskursiven Level zusammenzutragen, um die Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen.“

Techno, Akademie, Industrial. Drei (Sub-)Kulturen, die viel miteinander zu tun haben, ohne sich jedoch gegenseitig zu reflektieren. Die jeweiligen Scheuklappen runterreißen, darum geht es in Artefakt. Musik wieder zum Erlebnis machen, zur Entdeckungsreise. Es gibt soviel interessante Musik, die trotz Pop-Overkill kaum wahrgenommen wird, weil ihr kein Platz eingeräumt wird. Hier soll ihr Platz gegeben werden.

In Artefakt 5 werden in Interviews Ryoji Ikeda, Dachise, Voice Crack, Orphx, Achim Wollscheid, Toy Bizarre, Dan Lander, Leif Elggren gefeaturt. Schon mal einen von diesen Namen gehört? Außer vielleicht noch über die englische Avantgarde-Musikzeitung Wire oder andere kleine Fanzines wie Bad Alchemy oder Auf Abwegen besteht sonst kaum eine Chance, auf diese Namen stoßen zu können. Unzählige Reviews zu obskuren Platten aus aller Welt lesen zu können, nährt natürlich das Verlangen, einen konkret akustischen Eindruck von dieser Musik- Welt bekommen zu können. Passend dazu führt Erik Benndorf, Artefakt-Autor, den Berliner Ableger des Amsterdamer Labelverbunds für abseitige Musik, „Staalplaat“. Gerade frisch vom Pratergelände in die Galerie Schwarzenberg gezogen, versteht sich der Laden als Audio-Galerie, in der obsure Musik der Normalfall ist und mit dem schönen Sprüchlein „You don't have to call it music, if the term shocks you“ für einen erweiterten Musikbegriff plädiert wird.

Das Besondere an der fünften Ausgabe von Artefakt, das halbjährlich erscheint, ist die CD „White Errors Part 1“ von Column One, einem Berliner Experimental-Elektronic-Act, die dem Heft beliegt. Diese ist „integraler Bestandteil des Heftes“, so Picicci und liefert „explizit Anspielungen auf die Musik des Heftes. Der Tonträger führt vor, wie die Musik, die in diesem Heft verhandelt wird, funktioniert.“ Was Piccici da sagt, klingt erst einmal nicht viel anders, als wenn der Rolling Stone oder auch das Berliner Fanzine Wahrschauer ihren Lesern den Sinn oder Unsinn beiligender CDs erklären.

Doch „White Errors Part 1“ collagiert „Fehler“, die im Umgang mit Maschinen entstehen, zu einem latent groovenden Störtonteppich. Klickgeräusche, Knacken, Vinylrauschen, all diese „Fehler“ sind heute auch integraler Bestandteil von TripHop bis Techno. „Fehler nutzbar zu machen, aus denen sich eine Ästhetik entwickelt“, das findet Picicci interessant an der CD. Und natürlich, „daß es die CD ermöglicht, eine Idee sinnlich erfahrbar zu machen, ohne einen Aufsatz darüber schreiben zu müssen“. Und das ist ja bekanntlich das Beste, was Musik passieren kann.

„Artefakt 5“, inkl. Column One: „White Errors Part 1“, 10 DM Kontakt: Angelika Teschner & Annibale Picicci, Gleimstrasse 25, Prenzlauer Berg, 44050489