Fünf Kreuze sind besser als 50

WETTBEWERB Mehr Demokratie lobt neues Wahlrecht – und prophezeit noch mehr Ungehorsam der WählerInnen gegen die Parteiräson als in Hamburg

Fünf „Schnupperwahllokale“ hat das Innenressort in Bremen und Bremerhaven eingerichtet. Dort können alle das neue Wahlrecht selber testen, das bei der Bürgerschaftswahl am 22. Mai erstmals zum Tragen kommt. Für die Lokale gelten folgende Öffnungszeiten:

■ Bürgerschaft: Mo-Fr 10-14 Uhr

■ Postamt 5: Di, Do, Fr 14-18 Uhr

■ Stadtbibliothek: Di, Do, Fr 10-18 Uhr

■ Bauamt Bremen-Nord: Di+Do 10-14 Uhr

■ Bürgerbüro Bremerhaven: Di, Do, Fr 10-14 Uhr.

Bremen und Hamburg haben das demokratischste Kommunalwahlrecht Deutschlands. Nirgendwo sonst könnten die BürgerInnen mehr und direkteren Einfluss nehmen als hier, sagte Tim Weber vom Verein Mehr Demokratie gestern bei der Vorstellung des ersten bundesweiten Kommunalwahlrechts-Rankings. In beiden Ländern hat der Verein das jetzt mit „gut“ bewertete Verfahren maßgeblich mitkonzipiert. Um ein „sehr gut“ zu erreichen, müsste Bremen Weber zufolge vor allem Wahlkreise einführen und die Fünf-Prozent-Hürde abschaffen.

Die bloße Anzahl der abzugebenden Stimmen allein mache noch kein gutes Wahlrecht aus, unterstrich Weber. Zwar landeten Länder wie Schleswig-Holstein, wo die WählerInnen nur eine einzige Stimme haben, mit einem „mangelhaft“ ganz am Ende der Liste. Die süddeutschen Länder, wo WählerInnen schon seit Jahrzehnten zum Teil mehrere Dutzend Stimmen auf einzelne KandidatInnen verteilen dürfen, bekamen allerdings auch nur ein dürftiges „ausreichend“. Das Wahlverfahren sei hier „unnötig kompliziert“, so das Urteil von Mehr Demokratie. Bremen punktete gegen die Südländer unter anderem mit niedrigerem Wahlalter, übersichtlicherem Stimmzettelheft und keinerlei Einschränkungen beim Kumulieren und Panaschieren.

Entscheidend, so Weber, sei letztlich die „Mandatsrelevanz“ der Stimmen, ob also KandidatInnen, die viele Personenstimmen erhalten, am Ende tatsächlich eine größere Chance haben, in den Gemeinderat einzuziehen. In Niedersachsen etwa können die WählerInnen zwar drei Kreuze machen und damit auch einzelne KandidatInnen puschen. Wegen eines ungerechten Auszählungsverfahrens aber ist der Effekt ziemlich bescheiden: Über 90 Prozent der Sitzplätze bestimmt nach wie vor die Parteiliste. „Da kann man schon fragen, ob der ganze Aufwand überhaupt lohnt“, sagt Weber.

Bei der Wahl in Hamburg vor zehn Tagen kamen immerhin auf 19 Prozent der Plätze KandidatInnen zum Zuge, die es nach der in Listenform gegossenen Parteiräson nicht in die Bürgerschaft geschafft hätten. Betrachtet man nur die über die Landesliste vergebenen 50 Sitze, so ist der Ungehorsamsfaktor mit 28 Prozent noch deutlich größer. Für Bremen hatte Mehr Demokratie bisher prophezeit, dass 20 bis 25 Prozent der Sitze über Personenstimmen vergeben würden. Weber korrigierte diese Prognose gestern auf 25 bis 30 Prozent nach oben. SIM

Das komplette Ranking: www.mehr-demokratie.de