Prêt-à-porter
: Jacke wie Tasche

■ Kawakubo, Arakawa, Watanabe: Warum sind in Paris nur die Japaner genial? Einfach anziehen und sehen, was passiert

Jede Saison erfinden in Paris ein oder zwei Designer das Rad neu. Und es sind immer Japaner. Die Liebesaffäre japanischer Designer mit dem westlichen Kostüm ist nur vergleichbar mit der enthusiastischen Hingabe europäischer Emigranten an Hollywood.

Rei Kawakubos „Comme des Garcons“-Kollektion hieß „Simplicity, Teil II“. Auf den ersten Blick erschloß sich das nicht: Im Showroom sah man hauptsächlich gefaltete Vierecke an einem Bügel hängen. Die Vierecke hatten ein paar Nähte und irgendwo in der Mitte ragten bei einigen Kleidern ein paar Ärmel heraus. Einfach, gewiß. Nur: Wo ist vorn, wo ist hinten, oben, unten? Man muß es einfach anziehen und sehen, was passiert. Nachdem die Ärmel die Oben-Unten-Frage geklärt haben, ist alles ganz leicht. Die Nähte formen im Rücken eine kunstvoll in das Viereck konstruierte Jacke, vorn ist der Stoff unbearbeitet: frei zur eigenen Verwendung.

Auf dem Laufsteg war dieses Vorderteil mal am Kragen mit einer großen Sicherheitsnadel zusammengehalten, der Rest fällt dann nach unten schräg auseinander. Man kann es auch ordentlich umlegen wie eine Art Schultercape oder einrollen oder wie eine Art Schalkragen über die Brust fallen lassen. Gib Individualität eine Chance: Alles ist vorgefertigtes Prêt-à-porter, und doch wird jede Jacke anders aussehen. Es liegt allein am Träger. Der japanische Designer Shinichiro Arakawa hatte eine ähnliche Idee, mit dem Unterschied, daß die meisten Drapees hinten waren, was die Experimente von der Reichweite der Arme abhängig macht. Zur Illustration hatte er seine Kleider auf Bretter genagelt, die wie Bilder an der Wand hingen: Stoffvierecke, aus denen reliefartig Andeutungen einer Hose oder einer Jacke wuchsen wie Michelangelos Sklaven aus ihren Marmorblöcken. Die Models, die daneben standen, bildeten lebenden Beweis dafür, daß man diese Bilder anziehen konnten.

Arakawa beschränkte sich auf die Farben Rot, Weiß und Schwarz. Kawakubo, berühmt für ihr Schwarz, schwelgte in einer Farbenpracht wie sonst nur Yves Saint Laurent, Gott hab ihn selig. Da gab es rote und grüne Schottenkaros, in die Goldfäden gezogen waren. In grauen Wollstoffen bildeten Goldfäden eine Art Fischgrätenmuster. Andere waren mit weißen Eisblumen bestickt. Weiter gab es Industriespitze: Blütenmuster in Pink, Gold und Bronze, gestickt auf violettem Satin. Paillettenkleider waren nach der Fertigung in allen Rottönen eingefärbt worden – Pailletten inklusive. Andere waren gebleicht, was besonders bei den gold- und silberfarbenen Pailletten den Eindruck erweckte, sie seien bei Troja ausgegraben worden. Zusammen ergab das einen pink-, bronze-, goldbestickten asymmetrischen Rock, dessen eine Seite mit Volants besetzt war, dazu ein graubraun besticktes Oberteil und schließlich eine braunweißorange bestickte Stola, die über dem Busen zu einer riesigen Schleife gebunden war. Prächtig können sie nämlich auch sein, die Japaner.

Junya Watanabe, ein Schüler Kawakubos, schuf zwei Jahre nach Yamamoto das Dior-Kostüm noch einmal neu. Herauskam ein Model in einem schwingenden Rock aus Sonnenplissee. In der Hand trug sie eine Tasche. Dann kam sie noch mal heraus, diesmal mit einer stark taillierten Jacke, die an Diors New Look erinnerte.

Und siehe da – die Jacke war die Tasche. Man muß sie nur entfalten und überziehen. Ihre Reißverschlüsse bilden die vorderen und hinteren Längsnähte! Japanische Designer sind der einzig lebende Beweis dafür, daß aus der Dekonstruktion alter Modelle nicht nur Trümmer bleiben, sondern etwas Neues entsteht, so schön wie einst der New Look. Anja Seeliger