Zwischen den Rillen
: Blinde Flecken

■ Neuere Elektroniker remixen Steve Reich – mit Ausfällen nach unten und nach oben

Das Naheliegende hat lange auf sich warten lassen. Kein anderer Musiker aus dem Bereich der E-Musik wurde in den letzten Jahren von Produzenten technoorientierter elektronischer Musik so oft als Referenz genannt wie Steve Reich. Jetzt endlich liegt eine CD vor, auf der Reichs Arbeiten von einigen mehr oder weniger prominenten Künstlern aus der aktuellen Szene bearbeitet werden. Daß es so lang gedauert hat, war wohl auch für Reich selbst überraschend, erfreuen sich seine Arbeiten doch seit dreißig Jahren großer Beliebtheit innerhalb der Popmusik, und er selbst hat sich nie gegen Vereinnahmungen gewehrt. Vor Jahren sagte er auf die Frage, was er davon halten würde, wenn Technoproduzenten seine Minimal music remixen würden: „Ich bin gespannt.“

Die Auswahl der Musiker, die auf „Reich Remixed“ vertreten sind, ist allerdings etwas verwunderlich. HowieB, Tranquility Bass, Andrea Parker, Mantronik, Ken Ishii – auf ihren eigenen Platten war bisher recht wenig von einem Einfluß Reichs zu spüren oder von so etwas wie einer produktiven Rezeption.

Auch bei DJ Spooky, Coldcut oder DJ Takemura sucht man recht vergeblich nach einer bewußten Adaption Reichscher Errungenschaften. Läßt man mal beiseite, daß ihrer Musik wie der Reichs zum großen Teil das Moment der Repetition eigen ist.

So scheint die Künstlerauswahl zuvorderst auf größtmögliche Internationalität (England, USA, Japan) und einigermaßen eingeführte Namen zu setzen. Daß man dabei zum großen Teil auf Vertreter des derzeit gängigen und, was elektronische Musik angeht, in den USA einigermaßen zu kommunizierenden Downtempo-Bereichs zugreift, ist allerdings reine Marketingerleichterung.

Die Kompilatoren der Platte wie auch die vertretenen Künstler haben kein Bewußtsein über die in den letzten Jahren stattgehabte Entwicklung zu minimalistischen Sounds und Rhythmen in der technoverwandten Musik. Nach dem Overload an Klängen Mitte der Neunziger war dies Resultat einer musikalischen Rückbesinnung auf die wesentlichen Bestandteile. Der darin liegende Hang zum Akademismus hat zur Abspaltung einer experimentellen Sparte geführt, wo an diesem Bestreben weiter gearbeitet wird, während auf dem Dancefloor langsam Melodien, Vocals und sogenannte Rave-Signale wiederkehren.

Der blinde Fleck von „Reich Remixed“ liegt in der Ausblendung dieser Entwicklungen; hier genau hätte die Chance gelegen, Reichs Rhythmus-Exerzitien und Loop-Experimente auf den Sinn ihres aktuellen Wiedererscheinens hin zu überprüfen.

Steve Reich, 1936 geboren, hat schon früh mit lange wirkenden Meisterwerken aufgewartet. Seine am Tonband hergestellten Stücke mit sich endlos wiederholenden Wortfragmenten, „Come Out“ (1966) und „It's Gonna Rain“ (1965), sind Blueprints für ein Verfahren, das vorgefundenes akustisches Material zum Element eines Klang- und Rhythmusgeflechts macht. Sampling avant la lettre. Wie man aus der Wiederholung von Rhythmen und ihrer allmählichen Verschiebung neue Soundräume schafft, hat er in den dann folgenden Jahrzehnten mit seinen Kompositionen „Six Marimabas“ und „Drumming“ durchgespielt.

Daß es ihm nie um bloße Serialität ging, sondern immer um den (geistigen) Raum von Tönen, zeigte er in biographisch- zeitgeschichtlich aufgeladenen Werken wie „Different Trains“ (1988) und seinem bislang letzten Werk „Hindenburg“ (1997 uraufgeführt). Der analytisch- pessimistische Blick auf die Idee des (technischen) Fortschritts stand dabei in dialektischer Beziehung zu seinen technisch versierten und maschinell wirkenden Kompositionen.

Wie das remixen? Reichs Arbeiten haben, obwohl ab und an ins Kunsthandwerkliche lappend, stets mehr zu sagen, als ihre oft als Soundtapete benutzten Marimabaschichten zeigen. Coldcut lassen ihren Remix von „Music For 18 Musicians“ damit beginnen, bevor sie das Ganze kurzerhand mit einem nicht allzu inspiriert groovenden Midtempo-Beat unterlegen. Überhaupt ist das Desinteresse der hier vertretenen Künstler für die rhythmischen Finessen Reichs auffallend.

Einzig die beiden japanischen Produzenten Takemura und Ishii – letzterer mit sehr guter „Come Out“-Bearbeitung – zeigen dafür einen Sinn. DJ Spooky versucht vergeblich, seine eigene Montagetechnik mit der von Reichs „City Life“ zu verbinden, während es sich Tranquility Bass einfach macht und in seinem „Megamix“ ein Reichsches Allerlei zusammenmixt. Was das Arrangement angeht, beweist HowieB in seinem „Eight Lines“-Remix große Sensibilität. Ausfälle im positiven wie negativen Sinn sind die Beiträge von Mantronik und Andrea Parker. Die New Yorker Electro-Legenden holen Reichs Opus magnum „Drumming“ auf die Höhe der Bordsteinkante herunter; ebensowenig Respekt vor einem der anerkanntesten Komponisten dieses Jahrhunderts zeigt die Londoner Musikerin, die aus der Vorgabe einen leicht altmodischen Electro-Track macht.

Hat nichts mehr mit Reich zu tun, nimmt im Zusammenhang dieser Platte aber immerhin deutlich Stellung zu ihm. Martin Pesch

Diverse: „Reich Remixed“ (Artthrob/Nonesuch/WEA)