Gysi gegen den Rest des Bundestages

Bei der Kosovo-Debatte des Bundestages war die Einigkeit total. Belgrad-Pilgerer Gysi war der Buhmann  ■   Aus Bonn Markus Franz

Für einige Minuten glitt die Debatte über den Kosovo-Krieg im deutschen Bundestag ab. Wir haben es nicht nötig, sagte Außenminister Fischer, uns „von einem urlaubenden Abgeordneten beschimpfen zu lassen, der braungebrannt aus Gran Canaria zurückkommt“. Der Gescholtene, Gregor Gysi, konterte: „Das lasse ich mir nicht vorwerfen und schon gar nicht von jemandem, der ständig Urlaub in der Toskana macht.“

Gysi gegen den Rest des Bundestages. Das war die Dramaturgie an diesem Vormittag. Bis zum Auftritt des PDS-Fraktionschefs verlief alles in geordneten Bahnen. Schröder, Schäuble, Gerhardt, Schlauch – kein Redner von SPD, Union, FDP und Grünen, der nicht die deutschen Soldaten und die Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung gelobt, keiner, der Miloevic nicht ethnische Säuberung vorgeworfen, keiner, der nicht davor gewarnt hätte, bei den Greueln im Kosovo Ursache und Wirkung zu verwechseln. Einigkeit pur. Die Kriegsgegner in der SPD hatten sogar darauf verzichtet, einen eigenen Redner zu benennen, wie ihnen Fraktionschef Struck angeboten hatte.

Befremden löste allerdings CDU-Fraktionschef Schäuble aus, als er zu Beginn seiner Rede forderte, die Zahl der Kosovo-Flüchtlinge, die in Deutschland aufgenommen werden, zu begrenzen, und vorschlug, eine Auswahl zu treffen, etwa nach dem Kriterium medizinischer Hilfsbedürftigkeit. Außerdem forderte Schäuble, unter dem Einfluß des Kosovo-Krieges die Entscheidung über die doppelte Staatsbürgerschaft zu vertagen. Versuchte da einer, parteipolitischen Profit aus einer Situation zu schlagen, in der sonst überwiegend Einigkeit besteht? Selbst Unions-Abgeordnete schüttelten den Kopf über ihren Chef.

An Gregor Gysi, der die ablehnende Haltung der PDS zu den Nato-Einsätzen begründete, entzündeten sich dann die Emotionen. Gysi wandte sich erregt gegen Bundeskanzler Schröder, der der PDS vorgeworfen hatte, zur „fünften Kolonne Belgrads“ zu werden. Es dürfe nicht sein, daß eine Partei diskreditiert werde, die gegen den Krieg sei. Er betonte, daß es sich um einen Angriffs- und nicht einen Verteidigungskrieg der Nato handele und deshalb die deutsche Beteiligung vom Grundgesetz nicht gedeckt sei.

Von da an hatten Fischer, Verteidigungsminister Scharping und alle Nachredner von SPD und Grünen ihren Buhmann gefunden. Reagierten sie sich an Gysi ab, an Stelle der Kriegsgegner aus den eigenen Reihen, denen sie brav Respekt für ihre Meinung zollen? Fischer, mit erhöhtem Stimmpegel, mit dem Zeigefinger fuchtelnd, unablässig aufs Rednerpult klopfend, wandte sich zunächst ausschließlich an Gysi. „Sie machen sich zum Weißwäscher für die Politik eines Faschisten, eines Vertreibers“, warf er Gysi vor und unter dem Beifall auch der Union: „Sie sprechen von Völkerrecht, aber was ist das Recht derer in den Massengräbern?“

Gysi meldete sich erneut zu Wort, nun hochgradig erregt. „Ihre Bomben“, sagte er, „was haben die verhindert? Welches Leid eines einzigen Albaners haben die verhindert? Alles ist schlimmer geworden, nichts besser.“

Fischer reagierte eiskalt: „Ich habe gerade den Antrag der PDS erhalten. Da steht: Seit Aufnahme der Bombenangriffe der Nato auf die Bundesrepublik Jugoslawien hat sich die Lage der gesamten Zivilbevölkerung im Kosovo in extremer Weise verschlimmert. Die mit der Kriegsführung verbundene Brutalisierung hat zu massiven Flüchtlings- und Vertriebenenströmen aus dem Kosovo geführt.“ Mit schneidender Stimme fuhr Fischer fort: Er habe in dem Antrag verzweifelt nach dem Schimmer eines Vorwurfs gegenüber Miloevic gesucht. „Ich erspare mir jede weitere Gegenrede.“

Eine weitere Steigerung der Emotionen bewirkte Verteidigungsminister Scharping. Von Müdigkeit gezeichnet, zu Beginn sachlich und schließlich explodierend, bewegte er die Abgeordneten wie kein zweiter. „Ist das etwa Propaganda“, rief er, „daß mit Baseballschlägern Leichen zertrümmert, daß Gliedmaßen abgetrennt werden, daß Mütter mit toten Babys im Arm über die Grenzen kommen?“ Und an Gysi gewandt: „Wieviel Zynismus muß man haben, um so kalt über rechtliche Fragen zu reden.“ Unentwegt zeigte er Fotos aus dem Krisengebiet. „Meinen Sie“, fuhr er fort, „die Menschen im Kosovo fressen Gras, weil sie wollten?“ Die Abgeordneten waren bewegt.

SPD-Fraktionsvize Erler bedauerte am Rande des Plenums, daß Gysi derart im Mittelpunkt gestanden habe. Dadurch sei einiges untergegangen: vor allem die Unterstützung für den hervorragenden Friedensplan von Fischer.