Viel Asche, viel Phönix

■ Die tschechische Europaauswahl qualifiziert sich mit einem 3:2-Sieg gegen Schottland als erstes Team für die Fußball-EM 2000

Prag (taz) – Überschwenglich wie Matrosen auf Landgang tanzten die tschechischen Spieler durchs Stadion, umarmten sich, reckten die Fäuste, fielen schließlich übereinander. Gerade hatten sie in einem atemberaubenden Spiel Schottland 3:2 geschlagen, und wegen des Punktverlusts von Bosnien-Herzegowina auf den Faröer Inseln (2:2) bedeutete der Sieg die Qualifikation für die EM 2000 in Belgien und den Niederlanden. Noch vor einem Jahr, nach der verpaßten WM-Teilnahme, lag das Team in Trümmern. Auch am Mittwoch abend sah es nach einer Stunde Spielzeit nicht gut aus: Schottland führte 2:0, und es gab kaum Hoffnung, das Spiel zu drehen – sorglos spielte die Abwehr, zu ideenlos das Mittelfeld, zu harmlos der Sturm. Daß der Sieg dann weniger den glücklichen Einwechslungen von Trainer Jozef Chovanec zu verdanken war als vielmehr der Ermüdung der Schotten, interessierte zum Schluß keinen mehr: Je mehr Asche, desto strahlender der Phönix.

Nach dem Spiel hagelte es Komplimente. „Eure Mannschaft ist stärker als bei der EM 1996“, sagte Schottlands Trainer Craig Brown, und die Legende Antonin Panenka legte nach: „Sogar stärker als bei der EM 1976.“ Sein Elfmeter hatte damals in Belgrad der CSSR den Titel gebracht. „Wir haben die Deutschen geschlagen, aber Tschechien ist stärker, es ist derzeit die stärkste Mannschaft Europas“, sagte Brown.

Die Bilanz ist in der Tat eindrucksvoll: Alle sieben Qualifikationsspiele haben die Tschechen gewonnen und dabei 17 Tore geschossen. Aber die Mannschaftsaufstellung gleicht kurioserweise bis auf wenige Ausnahmen dem Aufgebot, das in der WM-Qualifikation so kläglich an Jugoslawien, Spanien und sogar der Slowakei scheiterte. Was macht Chovanec anders als sein Vorgänger Dusan Uhrin, fragen sich nun die Prager Sportjournalisten.

Eigentlich nichts, und der Erfolg ist weder unverdient, noch kommt er überraschend. Bei der EM in England wurde die Mannschaft von den Gegnern regelmäßig unterschätzt. Wer kannte schon Karel Poborsky von Slavia Prag, wer Pavel Nedved von Sparta und wer den Edelreservisten Patrik Berger von Borussia Dortmund? Danach war es schwerer, denn mit dem Wechsel zu Clubs wie Manchester United (Poborsky), Lazio Rom (Nedved) und FC Liverpool (Berger) wurden die Spieler prominent.

Aber die WM-Teilnahme wurde vergeigt, weil der Großteil bei ihren Vereinen nur auf der Bank saß (Martin Frydek in Leverkusen, Radek Bejbl bei Atletico Madrid), dazu kickten Kuka und Kadlec mit Kaiserslautern in der zweiten Liga. Seit einem Jahr ist das anders: Die Spieler haben sich entweder etabliert wie Nedved bei Lazio Rom oder sind zu „schwächeren“ Vereinen gewechselt, bei denen sie einen Stammplatz haben – wie Poborsky bei Benfica Lissabon.

Außerdem ist das Team, wenn es so etwas gibt, zusammengewachsen. Im Mittelfeld, wo noch vor einem Jahr Zufall und Unschlüssigkeit Triumphe feierten, regiert nun mit Berger, Nedved und Poborsky schnörkellose Zielstrebigkeit. Und die Stürmer, die früher das Tempo eines Heuwagens in der böhmischen Ebene hatten, sind aufgrund internationaler Engagements schnell und torgefährlich geworden. Von den 14 Spielern, die am Mittwoch gegen Schottland zum Einsatz kamen, verdienen nur noch vier ihr Geld zu Hause. Die tschechische Nationalmannschaft ist also eher eine Auswahl europäischer Spitzenclubs als ein repräsentativer Schnitt der heimischen Liga.

Verteidiger Martin Hasek spielt noch bei Sparta Prag, aber ein Fax von Celtic Glasgow soll vorliegen. Auch andere dürften sich gegen Schottland auf die Wunschliste internationaler Vereine gespielt haben – Winnie Schäfer (TeBe Berlin) und Jörg Berger (Frankfurt) waren am Mittwoch sicher nicht wegen des Biers in Prag.

Wolfgang Jung