Sandkastenkrieg

Uraufführung von Peter Handkes „Fahrt im Einbaum“ am Wiener Burgtheater: Durch die bedingungslose Werktreue werden die Klischees verstärkt  ■ Von
Cornelia Niedermeier

Auch Peter Handke zog in den Krieg. Auch Peter Handke ist im Krieg. Auch Peter Handke hat einen klar benennbaren Feind. Das Böse lauert immer und überall. Für einen feinnervigen Mann des Wortes vor allem in der Sprache. Genauer: in der „Schlagstocksprache“ der Medien.

Hat man den Krieg erklärt, ist der Feind erst benannt, wird die Sache einfach. Vereinfacht. Dann ist der Böse dort, wohin der Finger zeigt. Und man selbst fein heraus. Der Böse ist – handkeweise – die Masse, die Massenmedien, die Massenmedienmacher. Die Filmregisseure dieses Weltkinos, die Internationalen, die „Kadaverschweine“, die „Humanitätshyänen“. Man selbst aber ist der andere, der einzelne, der letzte Individualist gewissermaßen, „Wald- oder Irrläufer“. Natürlich von bösen deutschen (Medien-)Gerichten als „Danebensteher“ verurteilt. Zu fünf Jahren. Armer Mann. Aber im Recht. Wie traurig. Wie schön.

Und schon befinden wir uns mitten auf der Handke-Bühne. Mitten in der Uraufführung seines neuesten Stückes: „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg“. Tröstlicherweise sei gleich vorweggenommen, daß der einsame Wald- oder Irrläufer später mit der wunderschönen Fellfrau belohnt wird (Venus im Pelz, gewissermaßen). Und daß diese wunderschöne Fellfrau in Claus Peymanns Inszenierung von der wunderschönen Frau Handke (alias Sophie Semin) verkörpert wird, beruhigt geradezu. Ganz einsam ist der Kämpfer nicht. Natürlich Individualist. Das schon. Aber eben auch Liebender. Und Ästhet. Doch zurück zum Anfang. Vom Stück.

Zwei Filmregisseure treten auf, in einem Hotel im Balkan. Amerikaner der eine, Europäer der andere, präziser: Spanier. Gemeinsam planen sie einen Kriegsfilm (man beachte die metaphorische Präzision. Grundvoraussetzung jeder erfolgreichen Kanzelpredigt. Wer also verstanden hat, darf weiterlesen). Ein Ansager führt den beiden die wesentlichen Rollen des Plots vor: Chronisten, Historiker, künftige Staatsmänner, schließlich – böse, böse – drei Internationale (also Medien- oder Hilfsorganisationsvertreter). Letztere preschen laut Regieanweisung als – böse, böse – Mountainbiker auf die Bühne, oder genauer, denn Handke ist kein Freund des Anglizismus, wie man weiß: als „Bergradfahrer“. Zu dritt (ich sage nur: Masse) fetzen sie sich (verbal, aber gibt es Schlimmeres?) mit einem sogenannten „Griechen“, auch einer Art Handke. Das klingt dann beispielsweise so: Dritter Internationaler: „Uns gehört nicht nur die Sprache zum Krieg, sondern auch sein Bild. Und uns gehört das Alleruniversalste: die Bilder-Geschichten!“ Und der Grieche kontert – später: „Die mit der Schlagstocksprache haben die Macht. In früheren Despotien waren das die Politiker. Jetzt seid das ihr. Und während die kleinen Völker hier sich um Erdbrocken stritten, bemächtigtet ihr euch der Welt.“

Wacker verteidigen also Grieche und Waldläufer die kleinen Völker, die sich im Balkan um Erdbrocken streiten, gegen die Internationale der Bergradfahrer mit der Schlagstocksprache. Grieche: „Die von hier sind durch den Krieg so böse geworden, wie sie nicht sind, ihr Zugereisten seid mit dem Krieg so böse geworden, wie ihr seid. Taubblinde – aber leider nicht Stumme, ganz und gar nicht Stumme.“ Und weil auch der griechische Wald- und Irrläufer Handke ganz und gar kein Stummer ist, dauert es 200 ziemlich wortreiche Minuten (im Buch 120 Seiten), bis die wunderschöne Fellfrau einen Einbaum herbeizaubert, in dem der ganze Spuk von der Bühne fährt. Zurück bleiben die Regisseure, beschließen, doch keinen Film zu drehen und statt dessen ein letztes Mal zu predigen (“Es gibt keine Gesellschaft mehr. Die Gesellschaft zerfällt mehr und mehr in Horden“). Dann aber ist Schluß.

Und Claus Peymann? In seiner letzten Burgtheaterinszenierung (zumindest als Intendant) erwies er sich wieder einmal als Musterschüler unter den Uraufführungsregisseuren. Note Eins für bedingungslose Werktreue. Kein Handkesches Komma, kein dichterischer Seufzer, der ihm Distanz entlocken mochte. Das muß Freundschaft sein. Liebe wohl gar. Tiefempfundenes Einverständnis mit des Dichters tiefempfundenem Leid. Also wurden die Klischees verstärkt, die bösen Mountainbiker – pardon: Bergradfahrer – in extrahäßliche, neonfarbene Kostüme gepackt (Peter Fitz, Urs Hefti, und, mit platinblonder Perücke, Therese Affolter). Die wunderschöne Fellfrau barfuß, im engen braunen Kleidchen unter dem großen Fell. Das alles im gewohnt edlen Bühnenbild Karl-Ernst Herrmanns. Schwarz gelackt die Hotellobby, mit Halogensternenhimmel. Und hinten – ein Hermannscher Aha!-Effekt – weißglitzernd Schnee, mit putzigen Kreuzchen darauf. Friedhofsidylle. Ästhetik für Ästheten. Darauf die edlen Herren Staatsschauspieler, staatsschauspielend. Krieg, ach was. Kleine Völker, die mit Erdbrocken spielen. Sandkastenkrieg. Aber Theater! Staatstheater! Demnächst vielleicht auch in Berlin?

Einsam ist der Kämpfer nicht. Ihm steht Frau Handke als wunderschöne Fellfrau tröstend zur Seite