Wählen schwergemacht

■ EU-Ausländer dürfen an der Europawahl teilnehmen – nach Antrag auf Aufnahme ins Wählerverzeichnis. EU-Kommission prüft die diskriminierende deutsche Antragspflicht

Hamburg (taz) – Nikos Kotalakidis wunderte sich. Alle deutschen Bekannten des Griechen hatten per Post ihre Wahlunterlagen für die Europawahlen zugeschickt bekommen, nur er wartete vergeblich. Lag da ein Versehen vor? An den letzten Hamburger Kommunalwahlen hatte er teilgenommen, also mußte er doch im Hamburger Wählerverzeichnis verzeichnet sein. Auf seinem zuständigen Einwohnermeldeamt in Hamburg-Altona erfuhr Kotalakidis, warum er keine Wahlunterlagen erhalten hatte und auch keine mehr bekommen sollte: Bereits bis zum 10. Mai hätte er als wahlberechtigter Unionsbürger seine Aufnahme in das Wählerverzeichnis beantragen müssen. Die Frist habe doch in der Zeitung und an Litfaßsäulen gestanden.

Doch Kotalakidis, Mitarbeiter am Hamburger Europa-Kolleg, ließ nicht locker. Als er damit drohte, gegen die Antragspflicht und die mangelnde Information vor Gericht zu ziehen, wurden ihm seine Wahlunterlagen doch noch ausgestellt. Kotalakidis will sich damit nicht zufriedengeben, sondern trotzdem juristische Schritte einleiten. Er hält die deutsche Praxis für diskriminierend, gerade ein solch bürokratisches Vorgehen bestätige die Ressentiments vieler Bürger gegen die wenig transparente und bürgernahe Unionsverwaltung.

Damit steht er offenbar nicht alleine. Beim juristischen Dienst der Europäischen Kommission, dem Kotalakidis seinen Fall geschildert hat, will man die deutsche Antragspflicht für EU-Ausländer nun prüfen und eventuell ein Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung des EU-Vertrages einleiten. Dabei ist die Rechtslage so klar, wie europäisches Recht nur eben sein kann. Artikel 8 b, Absatz 2 des Europäischen Gemeinschaftsvertrages berechtigt alle Bürger zur aktiven und passiven Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament.

Zur Umsetzung dieser Vorlage hat der Deutsche Bundestag das Europawahlgesetz beschlossen, dessen Umsetzung wiederum regelt die Europawahlordnung, eine vom Innenministerium erlassene Verwaltungsvorschrift. Diese schreibt den Kommunen vor, öffentlich bekanntzumachen, wo, in welcher Form und in welcher Frist sich Unionsbürger für die Eintragung ins Wählerverzeichnis zu melden haben. Aber was heißt „öffentlich“?

Der Wahlordnung genügt dafür „mindestens eine deutschsprachige Anzeige in jeweils einer überregionalen Tages- und Wochenzeitschrift“, dazu sollen die Kreis- und Stadtwahlleiter noch „mindestens eine deutschsprachige Anzeige in einer regionalen Tageszeitung“ schalten. Diese Vorschrift kollidiert möglicherweise mit dem Artikel 12 der Richtlinie 93/109 des Europäischen Rates: „Der Wohnsitzmitgliedsstaat unterrichtet die aktiv und passiv Wahlberechtigten der Gemeinschaft rechtzeitig und in geeigneter Form über die Bedingungen und die Einzelheiten für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts in diesem Mitgliedsstaat.“ Sind drei in einer fremden Sprache verfaßte und im Zweifelsfall schnell überblätterte Anzeigen „geeignet“?

Kotalakidis hat den Verdacht, daß die deutsche Europawahlordnung, ein Produkt des ehemaligen Innenministers Manfred Kanther (CDU), absichtlich hohe bürokratische Hürden für wahlwillige EU-Bürger aufstellt. Deren Wahlbeteiligung sei von der konservativen Regierung wohl nicht erwünscht gewesen.

Daß bei den in Deutschland lebenden Unionsbürgern durchaus Wille zur demokratischen Beteiligung besteht, zeigt das Beispiel München, wo am Sonntag zusätzlich auch der Oberbürgermeister gewählt wird. Die Stadtverwaltung hatte Mitte März alle wahlberechtigten Münchner EU-Ausländer angeschrieben und das entsprechende Formular für die OB-Wahl schon beigelegt. Das Formular für die Europawahlen war noch nicht gedruckt und mußte deshalb von jedem EU-Wähler extra bestellt werden. Ergebnis: Die meisten Münchner nichtdeutschen EU-Bürger beteiligen sich zwar an der OB-Wahl, aber nicht an der Europawahl.

Auch die meisten Deutschen traf die herannahende Stimmabgabe wie ein Donnerschlag: „Europawahl aus heiterem Himmel“ überschrieb die FAZ am 19. Mai einen Bericht über eine Umfrage zur Kenntnis des Europawahltermins. Die Frage „Wissen Sie zufällig, wann die nächste Europa-Wahl ist, ich meine, bei der das Europäische Parlament gewählt wird?“ konnten im April lediglich 17 Prozent richtig, wenn auch fast immer ohne das Datum, beantworten. 12 Prozent sagten: „in diesem Sommer“. 10 Prozent machten falsche Angaben, und eine große Mehrheit von 61 Prozent gab offen zu, ahnungslos zu sein. Zum Zeitpunkt der Umfrage hatten in Deutschland ansässige Unionsbürger gerade noch zwei Wochen Zeit, ihre Wahlunterlagen zu beantragen. Stefan Kuzmany