Türkische Polizeispitze im Zwangsurlaub

Ein Abhörskandal sorgt für zahlreiche Entlassungen in Ankara. Jetzt soll der gesamte Polizeiapparat reorganisiert werden. Der neue Innenminister des Landes will sich als Saubermann profilieren  ■   Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Für die Abhörspezialisten des polizeilichen Nachrichtendienstes in Ankara gab es keine Tabuzonen. Nicht nur prominente Journalisten, Geschäftsleute und Bürokraten, selbst das Büro des Ministerpräsidenten und des Präsidenten der Republik blieben von ihnen nicht verschont. Damit sind sie aber nun, auch für türkische Verhältnisse, weit über ihr Ziel hinausgeschossen. Die Entschuldigung, man habe im Zuge der Antikorruptionskampagne, bei der Verfolgung von vier verdächtigen Geschäftsleuten, eben auch festgestellt, daß diese versucht hätten, sich an die Büros des Präsidenten und des Ministerpräsidenten zu wenden, reichte nicht mehr aus. Der direkt verantwortliche Chef der Polizei in Ankara, Sevdet Saral, und sein Nachrichtendienstchef wurden suspendiert, etliche andere hohe Polizeioffiziere gingen vorläufig in Zwangsurlaub. Die vorübergehende Freistellung erreichte ihren Höhepunkt am Mittwoch, als auch der oberste türkische Polizeichef, Necati Bilican, in den Urlaub geschickt wurde.

Hintergrund dieser Säuberungswelle ist anscheinend die Absicht des neuen Innenministers Sadettin Tantan, den gesamten türkischen Polizeiapparat gründlich auf den Kopf zu stellen. Das beginnt bei der Abhörpraxis. Es gibt etliche konkurrierende, staatliche Sicherheitsorgane, die alle munter abhören. Seit Jahren bekriegen sich diese Apparate auch untereinander, weswegen die meisten Skandale überhaupt erst öffentlich werden. Nach wie vor schwelt im Sicherheitsapparat der sogenannte „Susurluk-Skandal“, durch den bekannt wurde, daß der staatliche Apparat mit rechtsextremen Killerkommandos zusammengearbeitet hat, um angebliche PKK-Sympathisanten zu töten. Ebenfalls ungeklärt ist noch die Affäre um den obersten türkischen Drogenfahnder Tankus, der letztes Jahr aus dem Amt entfernt wurde, nachdem er den Istanbuler Polizeichef und andere hohe Sicherheitsleute beschuldigt hatte, korrupt zu sein.

Der neue Innenminister Tantan, der der Mutterlandspartei (ANAP) von Mesut Yilmaz angehört, hat nun eine hochrangige Untersuchungskommission eingesetzt, die die ganzen Skandale der letzten Jahre durchleuchten soll. Tantan, der vor seinem jetzigen Job Bürgermeister des schwierigen Istanbuler Bezirks Fatih war, hat sich dort als effektiver Organisator ausgezeichnet. Bereits unter der Regierung von Turgut Özal, in den 80er und frühen 90er Jahren, war Korruption mehr und mehr zu einem Kavaliersdelikt geworden. Als dann Tansu Çiller Regierungschefin wurde, kam zu der persönlichen Bereicherung noch die Verfilzung mit den rechten Mordbanden. Gegen den damaligen Innenminister Mehmet Agar, der rechten Hand Çillers, wurde bislang sehr schleppend ermittelt.

Innenminister Tantan scheint die volle Rückendeckung von Ministerpräsident Bülent Ecevit zu haben, dessen Regierung am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit im Parlament bestätigt wurde. Auch die Koalitionspartner, Mesut Yilmaz (ANAP) und der Chef der Ultranationalisten, Devlet Bahceli von der MHP, wollen als Saubermänner dastehen, um so einen echten Neuanfang in Ankara glaubhaft zu machen. Die Voraussetzungen, sich auS dem Sumpf der letzten Jahre etwas herauszuarbeiten, waren lange nicht mehr so gut.