„Wir brauchen einen eigenen Staat“

■ Miodrag Vlahovic, Präsident der „Bewegung für ein unabhängiges Montenegro“, fordert ein Referendum und kritisiert den Westen, der sein Land weiter an Serbien ketten will

Die „Bewegung für ein unabhängiges Montenegro“ wurde am 15. Mai gegründet. Es ist eine Gruppe von 24 Intellektuellen, unter ihnen Professoren, Medienschaffende und Ex-Parlamentarier, die sich als eine regierungsunabhängige Organisation (NGO) versteht. Ihr 38jähriger Präsident Miodrag Vlahovic ist Anwalt. Als 1991 montenegrinische Freischärler die süddalmatische Küste verwüsteten, gründete er das „Bürgerkomitee für Frieden“, 1992 bis 1994 saß er in Montenegros Parlament, 1998 gehörte er zu den Gründern des „Montenegrinischen Zentrums für Demokratie und Menschenrechte“.

taz: Weshalb haben Sie ihre Bewegung erst jetzt gegründet?

Miodrag Vlahovic: Montenegro hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Wir waren mit dem serbischen Regime liiert, hatten aber keine Chancen, in wichtigen Entscheidungen mitzubestimmen, vor allem nicht, wenn es um die tragischen Kriege der jugoslawischen Armee in Kroatien und Bosnien ging. Aber ich betone: Wir waren eine freiwillige Geisel Jugoslawiens. Montenegro ist auf eine reichlich naive Weise zu dieser Allianz gekommen, formal zwar demokratisch korrekt über ein Referendum im März 1992, aber damals herrschte faktisch Kriegszustand mit Kroatien, in Bosnien brach der Krieg einen Monat später aus. Nach sieben Jahren gefährlicher serbischer Politik, nach der Krise im Kosovo, nach der Nato-Intervention, um dort einen Genozid zu stoppen, hat die montenegrinische Gesellschaft jetzt in ihrer Mehrheit begriffen, daß sie einen eigenen Staat braucht.

Wie soll der Austritt aus der Föderation vonstatten gehen?

Der einzige friedliche, demokratische, legale und legitime Weg, der auch in unserer Verfassung vorgesehen ist, ist ein Referendum. Es wird spätestens Ende des Jahres kommen. Wir wollen keinen Krieg, keine Revolution, keine Flüchtlinge, keine ethnischen Säuberungen, keine Grenzveränderungen.

Wie groß ist die Gefahr, daß der jugoslawische Präsident Miloševic eine Sezession auf bewaffnetem Weg verhindert?

Das Risiko wird kleiner. Als die Nato Serbien bombardierte, war das Risiko sehr groß. Die Armee, die dem Namen nach jugoslawisch ist, aber von Serben kommandiert wird, hat damals alles getan, um Montenegro zu destabilisieren. Sie setzte die freien Medien unter Druck und versuchte unsere Regierung zu kippen. Ohne Erfolg. Jetzt ist Serbien ist ein erschöpftes Land, materiell und politisch geschwächt, außerdem mit moralischen und psychischen Problemen belastet. Miloševic wird auch die internationale militärische Präsenz im Kosovo, in Bosnien, in Albanien und Makedonien in Rechnung stellen müssen.

Sie meinen, die Nato werde notfalls Montenegro helfen?

Das will ich nicht sagen. Aber ihre Präsenz im Raum könnte Miloševic entmutigen. Wir müssen uns selber verteidigen. Aber ein Krieg würde hier sehr schrecklich werden. Also müssen wir sehr vorsichtig und geduldig sein.

Was halten Sie vom Vorschlag der Partei des montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic an Miloševic: einer sehr losen Konföderation zweier unabhängiger Staaten, deren Geld-, Verteidigungs- und Außenpolitik sowohl von diesen Staaten wie auch der Konföderation gemeinsam beschlossen und kontrolliert werden.

Der Vorschlag ist aus taktischen Gründen gemacht und wird von Miloševic mit Sicherheit abgelehnt. Man kann dann sagen, man habe vergeblich versucht, mit Serbien zu einem Agreement zu kommen, und wird vielleicht so zusätzlich Stimmen für die Unabhängigkeit fangen. Ich halte dies trotzdem für grundfalsch. Ich bin für Klarheit. Erst müssen wir einen eigenen Staat haben, und dann können wir sehen, ob wir mit anderen Staaten eine Konföderation eingehen wollen. Daß das dann ausgerechnet Serbien sein muß, eine Diktatur, die von einem Kriegsverbrecher regiert wird, ist nicht von vornherein einleuchtend. Der Vorschlag richtet sich überdies taktisch auch an die westliche Staatengemeinschaft, die ja Montenegro in der Föderation halten will, in der Hoffnung, so Serbien demokratisieren zu können. Serbien muß aber in Serbien von Serben demokratisiert werden. Im übrigen glaube ich, daß Serbien nicht mehr über das Potential verfügt, sich auf friedlichem Weg zu demokratisieren. Es wird nicht ohne Gewalt und ohne Opfer abgehen. Miloševic gibt nicht kampflos auf.

Sehen Sie in den jüngsten Demonstrationen einen Ansatz zur Demokratisierung Serbiens?

Die serbische Opposition ist leider erwiesenermaßen schwach. Das Problem ist, daß sie zu einem beträchtlichen Teil in den letzten Jahren die Erfolgslosigkeit von Miloševic' Politik kritisiert hat, nicht aber diese selbst. Sie wirft Miloševic vor, Kriege verloren zu haben, aber nicht, welche angezettelt zu haben. Ich fürchte, Serbien braucht noch 20 Jahre, bis es so weit ist wie heute Montenegro. So lange wollen wir nicht warten. Interview: Thomas Schmid