Das leise Surren der Rollen

■ In Berlin erobern sich die Skater jetzt alle zwei Wochen die Straßen

Das Berliner Autodickicht verlangsamt sich täglich zur Stoßzeit spätestens am S-Bahnhof Tiergarten. Drei Stunden später haben die Autofahrer auf dem 17. Juni eigentlich wieder freie Fahrt – wenn nicht gerade Mittwoch abend ist. Zur zehnten Blade Night stauten sich in dieser Woche in Berlin über 25.000 SkaterInnen unter der S-Bahn Brücke. Der Profiskater mit windschnittigem Helm bringt dem Freizeitroller mit zerkratzten Knieschonern letzte Bremstips bei, Eltern unterstützen ihren stolpernden Nachwuchs. Bis Jan-Philipp Sexauer, Initiator mit orangeleuchtender Weste, gegen 21 Uhr endlich das Megaphon an die Lippen nimmt und die Blade Night eröffnet.

Statt aufheulender Automotoren erfüllt das leise Surren Zehntausender Rollen die Luft. Während die schnellsten Skater unter Pfiffen und Jubel die Siegessäule längst passieren, setzen sich die Neulinge der stetig wachsenden Szene gerade unsicher in Bewegung. Über die Spree geht es reibungslos dank glattem Asphalt zum Lehrter Stadtbahnhof. Vorbei an gelb blinkenden Ampeln und wartenden Autoschlangen quer durch Moabit. Begeisterte Feierabendbiertrinker klatschen dem rollenden Korso euphorisch Beifall, ungeduldiges Hupen wandelt sich in einen anfeuernden Rhythmus.

„Das ist verrückt! Schaut euch die Massen an“, ruft nach einem Blick über die Schulter ein schmaler Typ, „Wahnsinn.“ Trotz zunehmender Röte und tropfender Schweißperlen bleibt an jeder neuen Kurve und Kreuzung in Richtung Schloß Charlottenburg noch die Kraft zu Jubelschrei und La-Ola-Welle. „Das ist ein bißchen wie Tour de France oder Marathon“, freut sich Katja. Die 34jährige Chemikerin ist das fünfte Mal dabei und ärgert sich über das rollschuhfeindliche Berlin: „Auf der Straße fahren darf man nicht, Fahrradwege sind auch tabu und der Bürgersteig ist oft voller Schlaglöcher.“ Die Blade Night hat deshalb auch einen ernsten Hintergrund. Der Rollschuh als „neues Individualverkehrsmittel“, fordert Sexauer, der für ein „legales Durchqueren der Stadt“ auf acht Rädern kämpft.

Eine Art Schutzstreifen stellt er sich vor, nicht exklusiv für Skater, aber einen, der zur Rücksichtsnahme anregt. Auf wenig Verständis stößt er damit bei Verkehrsenator Jürgen Klemann (CDU). Der will die Blade Night ganz verbieten. Es gebe in den Außenbezirken genügend Straßen zum Skaten, so Sprecherin Dagmar Buchholz, der „schicke Anspruch“ durchs Brandenburger Tor zu rollen, brächte lediglich Verkehrsbeeinträchtigungen. Man einigte sich auf den Kompromiß, das surrende Event nur noch alle zwei Wochen auf unterschiedlichen Strecken stattfinden zu lassen: „Dadurch sind wir jetzt in der ganzen Stadt präsent“, sagt Sexauer.

Die SkaterInnen sind da geteilter Meinung. „Ich vermisse das Flair der alten Strecke“, meint eine 24jährige Neuberlinerin. Ina hingegen findet es toll auch mal andere Stadtbezirke per Inline zu erkunden. Allerdings sei es „echt traurig für Berlin“ die Blade Night nur noch 14tägig zu genehmigen. Daß sie damit nicht alleine rollt, bekunden gelbe Flyer: „30.000 SkaterInnen sind keine Minderheit mehr! Wir skaten jeden Mittwoch“. Katrin Cholotta