Befreiung aus der Umklammerung Belgrads

Nach dem Krieg im Kosovo will die Mehrheit der Montenegriner einen unabhängigen Staat oder allenfalls noch eine lose Konföderation mit Serbien. Über einen Volksentscheid wird bereits diskutiert    ■ Aus Podgorica Thomas Schmid

Jugoslawien, faktisch um die Provinz Kosovo verkleinert, wird möglicherweise bald weiter schrumpfen. Vieles deutet darauf hin, daß die Regierung Montenegros noch in diesem Jahr ein Referendum durchführen will. Seit Tagen wird das Thema erstmals offen in den staatlichen Medien diskutiert, und eine neueste Umfrage ergibt, daß sich heute eine Mehrheit der Wahlberechtigten für einen eigenen Staat entscheiden würde.

Für Slobodan Miloševic wäre es ein herber Schlag, weil Serbien und Jugoslawien danach identisch wären. Man könnte dann ein Parlament, eine Regierung und einen Präsidenten einsparen. Es wäre die eleganteste Art, meinen Spötter, Miloševic loszuwerden. Ein Präsident ohne Staat wäre ja mindestens so lächerlich wie ein Kaiser ohne Kleider.

1989 hat Miloševic die Autonomie des Kosovo aufgehoben, 1999 hat er das Kosovo verloren. In diesen zehn Jahren hat Montenegro sein Schicksal immer an Serbien gekettet: als Jugoslawien auseinanderbrach und Kroatien und später Bosnien mit Krieg überzogen wurden. Als auch Makedonien den Weg der Unabhängigkeit beschritt, blieb Montenegro mit dem 16mal größeren Serbien allein zurück in jenem Gebilde, das jahrelang Rest- oder Rumpfjugoslawien genannt wurde, um es vom alten Jugoslawien zu unterscheiden. „Es sind zehn verlorene Jahre“, resümiert Milka Tadic, Chefredakteurin der montenegrinischen Wochenzeitung Monitor, „die uns viel gekostet haben.“

Nach dem Motto „mitgehangen – mitgefangen“ litt auch der kleine Adriastaat unter den Sanktionen gegen Serbien. Vor allem aber sind es zehn Jahre, in denen die Mehrheit der Montenegriner sich eine Zukunft jenseits Serbiens kaum vorstellen konnte. „Der Krieg im Kosovo, bei dem Montenegro zum ersten Mal klar eine andere Haltung als Serbien bezog, hat das geändert“, sagt Tadic, „die Mehrheit der Montenegriner kann sich eine Zukunft in einem Staat mit Serbien nicht mehr vorstellen.“

Als am 24. März die ersten Nato-Bomben fielen, befürchteten noch viele einen Schulterschluß-Effekt. Nachdem Milo Djukanovic im Oktober 1997 zum neuen Präsidenten Montenegros gewählt worden war, ging die kleine Adriarepublik auf Distanz zu Serbien. Sie übernahm das Zollwesen und die Grenzkontrollen und schaffte im März die Visumpflicht ab, um wieder Touristen anzulocken.

Ende März gingen Anhänger des abgewählten Präsidenten Momir Bulatovic, der nach seiner Niederlage von Miloševic zum Ministerpräsidenten Jugoslawiens gekürt worden war, in Podgorica auf die Straßen, um gegen die Bomben und für Miloševic zu demonstrieren. Bulatovic' Regierung rief für Jugoslawien das Kriegsrecht aus, das Podgorica wie alle Gesetze und Dekrete der Bundesregierung für null und nichtig erklärte.

Trotzdem richtete die jugoslawische Armee in Montenegro schon bald Straßenkontrollen ein, setzte sich an den Grenzen fest, bedrängte die oppositionellen Medien, ließ wegen Aufrufs zur Kriegsdienstverweigerung einen Haftbefehl gegen den Vizepremier Novak Kilibarda ausstellen und drohte, die Macht in Montenegro zu übernehmen. Immerhin traf sich dessen Präsident ja mit westlichen Politikern, die für die Bombardierung Serbiens verantwortlich waren. Für Belgrad war er damit endgültig zum Verräter geworden.

Doch allen Unkenrufen zum Trotz hat Djukanovic von der Intervention der Nato profitiert. Viele Montenegriner danken es ihrem Präsidenten, daß er das Land aus dem Krieg herausgehalten hat, daß es in Podgorica noch keinen Mangel an Zigaretten gibt und der Liter Benzin, der in Serbien mit fünf Mark gehandelt wird, weiter für eine Mark zu haben ist.

Stand zu Kriegsbeginn vermutlich noch fast die Hälfte der Montenegriner hinter Bulatovic, so dürfte es heute noch höchstens ein Viertel sein, vor allem die Bewohner aus dem an Serbien angrenzenden Norden des Landes. In der Hauptstadt und an der Küste hat die Marionette Miloševic' beträchtlich an Rückhalt verloren. Neueste Umfragen zeigen, daß 40 Prozent der Montenegriner für die Unabhängigkeit und weitere 23 Prozent höchstens für eine sehr lose Konföderation zwei weitgehend selbständiger Staaten sind.

Während des Krieges im Kosovo hat Kilibarda, dann auch Djukanovic, auf die Notwendigkeit einer Neudefinition der Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro hingewiesen. Spätestens wenn Serbien auf die Druckpresse zurückgreift, um die Polizisten und Soldaten zu bezahlen, droht auch Montenegro in einen Inflationsstrudel gerissen zu werden. So ist schon offen von einer eigenen Währung die Rede. „Perper“, zu deutsch „Pfeffer“, soll sie heißen.

Seit zwei Wochen werden die Vorteile einer Unabhängigkeit in den staatlichen und regierungsnahen Medien breit diskutiert. Am Dienstag hat Djukanovic' Partei, die stärkste Kraft im Land, dem Belgrader Regime einen Vorschlag für eine lose Konföderation zweier Staaten gemacht.

Der Sozialdemokrat und Vizepremier Dragisa Burzan zeigt sich schlicht entsetzt. „Das ist unglaublich“, empört er sich, „so etwas läßt sich doch nicht einfach zwischen Staatsspitzen, Regierungen oder Parteien aushandeln. Wir bestehen bei einer solch grundlegenden Angelegenheit auf einem Referendum.“ Wenn sich die Regierung auf Verhandlungen mit Belgrad einlasse, um ein Referendum zu umgehen, droht er, werde seine Partei die Regierung verlassen.

Vor dem Referendum müsse es eine breite Diskussion geben. „Gegen Jahresende etwa könnte eine Volksbefragung stattfinden“, meint Burzan. Milka Tadic von Monitor gibt der jugoslawischen Föderation noch drei Wochen. „Dann ist sie gestorben.“