Mister West in Moskau

Das Arsenal begleitet die „Amazonen der Avantgarde“ im Guggenheim mit einer Filmreihe über sowjetische Regisseurinnen und Schauspielerinnen der 20er  ■   Von Martin Ebner

Exzentrische Schauspieler, revolutionäre Schnitte: „Russenfilme“ waren im Berlin der Weimarer Republik ziemlich populär, vor allem seit Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ aus dem Jahr 1926. Und das nicht nur bei den 300.000 Russen, die damals in Berlin wohnten.

Auch deutsche Regisseure waren tief beeindruckt, und der bekannte Kritiker Alfred Kerr schrieb: „Ein Film, von Russen gebändigt, ist nicht mehr ein Film, sondern eine Wahrheit.“ Nur der anvisierten Zielgruppe gefiel die sozialistische Kunst nicht. Ein Moskauer Verleih stellte darum enttäuscht fest: „In den Arbeitervierteln laufen unsere Revolutionsfilme mit hohem künstlerischem Anspruch sehr schlecht. Umgekehrt hält sich unser Film in kleinbürgerlichen Intelligenzlerkreisen und selbst bei den vor Geld strotzenden Bourgeois auf dem Kurfürstendamm gut, bringt den Filmverleihern keine schlechten Einnahmen und übertrifft damit sogar noch den amerikanischen Film.“

Hollywood hat inzwischen gesiegt. Trotzdem – ein sehr später Triumph – sind die Revolutionsfilme jetzt noch einmal zu sehen. Die Freunde der Deutschen Kinemathek und das Guggenheim Berlin zeigen parallel zur Ausstellung „Amazonen der Avantgarde“ im Arsenal Werke von sowjetischen Filmkünstlerinnen aus den 20er-Jahren. Ein „Kinemathek“-Sonderheft zum Thema gibt es auch.

Die bekannteste dieser Amazonen ist Alexandra Chochlowa. Die Enkelin des Kunstsammlers Tretjakow wurde 1897 in Berlin geboren und wuchs in Moskauer Künstlerkreisen auf. Berühmt wurde sie als „exzentrische Schauspielerin“ mit „greller Individualität“ (schrieb eine sowjetische Enzyklopädie). Sie trat in fast allen Filmen ihres Ehemanns Lew Kuleschow auf. Mit ihm arbeitete Alexandra Chochlowa vor allem im Studio der „Meschrabpom“, der „Internationalen Arbeiterhilfe“, wo nicht nur Agitpropfilme produziert wurden, sondern auch erfolgreiche Krimis und Komödien nach US-Vorbild. Im Arsenal sind nun zwei Filme mit Chochlowa zu sehen. „Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiken“ ist eine Parodie auf US-Vorstellungen von Sowjetrussland: Ein reicher Amerikaner kommt nach Moskau.

Er fällt einer Gruppe Ganoven in die Hände, die genau das Bild der roten Barbarei abgeben, das der Amerikaner erwartet hatte. Am Ende wird der ausgeplünderte Mister dann von strammen Kommissaren befreit. Das ist dann der wahre Sozialismus, den natürlich auch ein Amerikaner gut finden kann: Gerechtigkeit und Gesetz siegen über das Böse. Der ebenfalls 1924 von Kuleschow gedrehte Film „Der große Tröster“ erzählt aus zweifacher Sicht die Geschichte eines Häftlings, den grausame Haftbedingungen umbringen: Die verharmlosende Version eines Schriftstellers wird mit den tatsächlichen Begebenheiten collagiert, die Kuleschow aus Dokumenten rekonstruiert hat.

Von Esfir Schub, die aus altem Wochenschaumaterial neue Filme montierte und so ein ganzes neues Genre begründete, werden im Arsenal ebenfalls zwei Filme gezeigt: „Der Fall der Dynastie Romanow“ beschreibt die Jahre 1913 bis 1917, also das zaristische Russland bis zum Ausbruch der Februarrevolution – „Der große Weg“ ist die Fortsetzung.

Die Arbeit der Cutterin Jelisaweta Swilowa wird mit dem Film „Der Mann mit der Kamera“ vorgestellt. Unter schwierigen Bedingungen, in ungeheizten Kellern hat sie alle Dokumentarfilme ihres Mannes Dsiga Wertow montiert. Beendet wird die Filmreihe mit Lilja Brik, einer Künstlerin, die in Filmen von und mit dem Dichter Majakowski auftrat.

Ihr Film „Das Glasauge“ war in Russland schon lange nicht mehr und in Berlin noch nie zu sehen. Eine kleine Sensation – falls der Transport der Filmrolle aus Moskau tatsächlich klappen sollte.

„Der Fall der Dynastie Romanow“, heute, Kino Arsenal, Welserstr., weitere Filme bis zum 29. Oktober jeweils freitags