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Vermutlich bald Neuwahlen in Venezuela

■ Politischer Fahrplan der nächsten Monate steht fest. Rechte des Parlaments ungeklärt. Richter sprechen Banker frei, Verfassunggebende Versammlung sieht Korruption im Spiel

San Salvador/ Caracas (taz/ips) – Nachdem die Verfassunggebende Versammlung in Venezuela am Mittwoch eingelenkt hat, zeichnet sich folgender politischer Fahrplan ab: Der Kongress (das Parlament) wird am 1. Oktober aus der Sommerpause zurückkehren und dann für mindestens einen Monat neben der Verfassunggebenden Versammlung existieren. Im November will diese ein neues Grundgesetz vorlegen, über dessen Annahme im Dezember in einer Volksabstimmung entschieden werden soll. Voraussichtlich kommt es danach zu vorgezogenen Neuwahlen.

Welche Rechte der erst im November vergangenen Jahres gewählte Kongress in der Zeit der Koexistenz mit der Verfassunggebenden Versammlung hat, ist noch unklar. Eigentlich will die Verfassunggebende Versammlung mit Korruption und Vetternwirtschaft im venezolanischen Staat aufräumen. Neben einem „parlamentarischen“ und einem „exekutiven“ wurde deshalb vor zwei Wochen auch ein „juristischer Notstand“ ausgerufen.

Jüngst erst wurden die Chávez-Anhänger in ihrer Überzeugung bestätigt, dass die Justiz korrupt ist: Ein Gericht sprach mehrere Bankiers frei, die mit der Bankenkrise von 1994 in Verbindung gebracht werden. „Es besteht kein Zweifel, dass bei den Fällen Korruption im Spiel war“, erklärt Manuel Quijada, Leiter der Kommission der Verfassunggebenden Versammlung, die 3.000 in den letzten Jahren liegen gebliebene Gerichtsfälle bearbeitet. Quijada zufolge gehen neun der 3.000 unbearbeiteten Fälle auf das Konto der beiden Berufungsrichter, die am letzten Freitag rund 20 Bankiers und Bankangestellte von dem Vorwurf freisprachen, durch fahrlässiges Handeln die Finanzkrise verursacht zu haben. Im Januar 1994 hatte eine 15-monatige Finanzkrise ihren Lauf genommen, die zum Zusammenbruch von insgesamt 17 Geldinstituten führte und 675.000 Menschen um ihre Spareinlagen brachte.

Seit der Ausrufung des „juristischen Notstands“ beschäftigt sich eine Kommission des Gremiums mit den Gerichten des Landes. Am Dienstag wurden die ersten acht Namen korrupter Richter veröffentlicht. Dabei zeigte sich, dass auch die Verfassunggebende Versammlung nicht frei von Vetternwirtschaft ist. Eine der ersten Richterinnen, die entlassen werden sollte, ist Mildred Camero. Die jedoch ist gleichzeitig Antidrogenbeauftragte von Chávez im Ministerrang. Kaum war ihr Name genannt worden, eilte sie zum Antikorruptionsausschuss und beschwerte sich. Nach einer halben Stunde gab das Gremium bekannt, die Nennung ihres Namens sei „ein bedauerlicher Irrtum“. Es gebe „nichts, was die blütenreine Karriere der Richterin beflecken“ würde. Toni Keppeler

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