Makabre Todeserwartung

■ Schmuggelware: „Lemonas Geschichte“ ist der letzte Roman des hingerichteten nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa

Ken Saro-Wiwa war ein gewitzter Pointenschreiber. Ein großer Romancier war er leider nicht

Lemonas Geschichte“ soll sich auf der letzten Diskette befunden haben, die Ken Saro-Wiwas Angehörige kurz vor dessen Hinrichtung am 10. November 1995 aus dem Gefängnis in Port Harcourt schmuggelten. Vielleicht erklären diese Begleitumstände die Hast, mit der der nigerianische Schriftsteller und Bürgerrechtler diesen Roman niedergeschrieben zu haben scheint.

Es geht hier um eine Frau Ende der Fünfzig, die in Port Harcourt wegen Mordes der Vollstreckung ihres Todesurteils entgegensieht und einer Journalistin ihr Leben erzählt. Kein schönes Leben. Gekennzeichnet war es von Erniedrigungen, wie etwa den sexuellen Nachstellungen eines Arbeitgebers, dem Abgleiten in ein Dasein als Callgirl und der Abhängigkeit als Geliebte.

„Lemonas Geschichte“ passt durchaus zu den beiden anderen Teilen der Trilogie, die dieser Roman abschließen sollte – den noch unübersetzten Büchern „Prisoners of Jebs“ und „Pita Dumbrok's Prison“. Sie sind allesamt eher flott und plakativ geschrieben und reichen weder stilistisch noch thematisch an das literarische Frühwerk des Autors heran, vor allem nicht an die bereits übersetzten Erzählungen des Bandes „Die Sterne dort unten“, und erst recht nicht an den Roman „Sozaboy“.

Gewiss, Saro-Wiwa war ein gewitzter Pointenschreiber, wie seine Fernsehserie „Basi & Company“ zeigt. Er war auch ein gut beobachtender Erzähler kürzerer Geschichten und ein spöttischer Glossenschreiber. Doch seinen umfangreichen Werken fehlt stets ein tragfähiger Spannungsbogen. Und bei dem aktuellen Roman kommt noch etwas anderes hinzu: Handlung und Stil des Buches enthalten sogar triviale Elemente, wie sie in der nigerianischen Durchschnittsliteratur ohnehin nicht selten anzutreffen sind.

Die Klischeehaftigkeit von „Lemonas Geschichte“ gipfelt in Formulierungen à la „Viele Gedanken klopften an das Tor meiner Seele und baten um Einlass“ und zeigt sich inhaltlich darin, dass sich die Figur der Journalistin schließlich wenig überraschend als verlorene Tochter der Mörderin entpuppt.

Nur in einem Kapitel ironisiert Saro-Wiwa ebensolche Stereotype, indem er den einzigen Weißen der Geschichte, einen schottischen Bauingenieur, als herausragend positive Figur voller Fürsorge zeichnet. Zudem ist dieser John Smith ein ausgezeichneter Liebhaber, mit dem Lemona ihren ersten Orgasmus erlebt, und das widerspricht natürlich allen Klischeevorstellungen.

Mit der Figur eines reumütigen Richters, der sich als jämmerlicher Pantoffelheld entpuppt, liefert Saro-Wiwa zudem eine Karikatur des nigerianischen Patriarchats. Dass „Lemonas Geschichte“ trotz alledem eine bemerkenswerte Aktualität zukommt, liegt zum einen an der makaberen Todeserwartung sowohl der weiblichen Hauptfigur als auch des Autors Saro-Wiwa. Zum anderen liegt es daran, dass im Zuge der Demokratisierung Nigerias zweifelhafte Gerichtsverfahren neu bewertet werden. Unter den ersten Fällen, die jüngst der Untersuchungskommission über Menschenrechtsverletzungen in Nigeria zur Überprüfung vorgelegt wurden, befand sich die Akte Ken Saro-Wiwas.

Manfred Loimeier

Ken Saro-Wiwa: „Lemonas Geschichte“. Deutsch von Gerhard Grothjahn-Pape. dtv, München 1999, 217 Seiten, 24 DM