Globales Erlebnis mit Längen

Am Sonntag spielten in Miami, Florida, die Chicago Bears gegen die Indianapolis Colts um den Super Bowl. Das Endspiel im US-Profi-Football wurde in 233 Länder übertragen. In Hamburg luden fünf örtliche Mannschaften zum Leinwand-Spektakel. Nicht alle Zuschauer hielten bis zum Morgen durch

VON MATHIAS BECKER

„Cheerleader“ haben lange Beine. Und die mit den längsten Beinen darf den „Quarterback“ küssen. Jetzt mal ehrlich: Vielmehr weiß hierzulande niemand über American Football. Oder doch? Immerhin 800 Besucher zählten die Veranstalter der „Miami Heiss“ Super Bowl Party im Hamburger Club „Night Fever“. Public Viewing auf amerikanisch.

Es ist Sonntag, 22.30 Uhr. Noch anderthalb Stunden bis zum Anpfiff. Margarete Brodersen steht hinter einem Tapeziertisch mit Fanartikeln der „Young Huskies“. Schlüsselbänder und Jerseys – also Trikots – kann man bei ihr kaufen. Oder ein bisschen Football spielen. An der Konsole, versteht sich, auf einem Bildschirm von der Breite zweier ausgestreckter Arme. Brodersens Söhne spielen für die „Young Huskies“. Sie klebt Pflaster am Spielfeldrand der Jungamateure. Angst, ihre Jungen könnten sich die Schädel einrennen, hat sie nicht. „Dafür tragen die ja Helme.“ Auch als ihr Ältester eines Tages den Arm in Gips nach Hause trug, blieb sie gelassen. „Das verheilt“, sagt sie. Was bleibe, sei die enorme Verbundenheit unter den Spielern. „Das sind alles liebe Jungs“, weiß Frau Brodersen, „die halten zusammen.“ Das bestätigt auch Jesko, ihr Jüngerer: „Beim Football kommt es auf jeden Mann an“, sagt der 18-Jährige, „darauf, dass man perfekt zusammenarbeitet.“

Ein Programm wie eine Dauerwerbesendung

Nebenan im Saal stehen drei dieser „lieben Jungs“ gerade auf der Bühne, gut gelaunt für zwei Dutzend Fotografen. Früher rannten Aden Durde, Scott McCready und Jermaine Allen einander für US-Teams über den Haufen. McCready gewann 2001 sogar den Super Bowl, mit den New England Patriots. Diesen Erfolg, seinen größten als Sportler, dokumentiert ein Goldring, groß wie eine Armbanduhr. Seit zwei Jahren spielt McCready, wie Durde und Allen, für die Hamburg Sea Devils, das Profi-Team der Hansestadt. Hamburg gefällt ihnen gut, sagen sie. Über die Spiele hier sagen sie nichts. Ihr Einsatz im Football-Niemandsland ist vor allem Teil einer Promotion-Kampagne der NFL. Die US-Profi-Liga schickt regelmäßig Spieler zu ihrer Tochtergesellschaft, der NFL Europe. Denn der europäische Markt hat Potential. Und wie man einen Markt entwickelt, weiß die NFL.

Auf der Bühne hat Moderator Christian Fremy im weißen Don-Johnson-Anzug die undankbare Aufgabe, sich und sein Publikum durch ein Programm zu hangeln, dass an eine Dauerwerbesendung erinnert: Ein bekannter Pizzalieferant lässt Kandidaten Pappkartons stapeln. Dafür gibt’s Pizza satt. Ein bekannter Reiseunternehmer lädt zum „Miami-Vice-Quiz“. Der Gewinner fährt – nein, nicht nach Florida. Aber nach Lloret del Mar. Zum Glück beweisen Fremys Kandidaten Humor.

Wer sich da inmitten eines großen Werbegags wähnt, sieht sich bald der medialen Rückständigkeit überführt. Als um 23.50 Uhr die Bilder aus Miami die Leinwand erreichen, ist eines klar: Dagegen wirken Übertragungen aus dem heimischen Fußballbetrieb wie aus einem anderen Zeitalter.

Selbst die Truppen in Bagdad stehen stramm

Im strömenden Regen sitzt Billy Joel im Stadion am Flügel und singt die Nationalhymne. Wassertropfen rinnen über den schwarzen Klavierlack. Zuschauer werden auf wenige Zentimeter herangezoomt. Die Kamera verliert sich in dem weinenden Auge eines schwarzen Spielers. Auf dem Rasen übersetzt eine Gebärdendolmetscherin die Hymne für Taubstumme. Schnitt. Eine Live-Schaltung zeigt: Selbst die Truppen in Bagdad stehen in diesem Moment stramm.

Beim Super Bowl haben sich die Bilder vor das Spiel gedrängt. Hier wird nichts dem Zufall überlassen, nach der „Nipplegate“-Affäre sogar offiziell: 2004 hatte Janet Jacksons Oberteil während der Halbzeit-Show für einen Moment den Blick auf zu verdeckende Körperpartien freigegeben. Seither werden Großevents in den USA leicht zeitversetzt ausgestrahlt.

In Miami beginnt das Spiel gut für die Chicago Bears: Mit der Pille unter dem Arm läuft Devin Hester kurz vor der eigenen Torlinie los, und schlägt einfach die besseren Haken. Die Defensivabteilung von Indianapolis springt reihenweise ins Leere und bringt Hester erst 90 Yards später zu Fall. Da ist er schon hinter der Torlinie der Colts. Ein Rekordlauf.

In den folgenden vier Stunden aber kommt man ohne eine Regieführung, die auf intime Bilder setzt, nicht aus: Football ist ein zäher Sport für die Zuschauer. Grundsätzlich geht es darum, den Ball in einer Art „Salamitaktik“ immer weiter nach vorne und schließlich hinter die gegnerische Torlinie zu bringen. In der Praxis sieht das so aus: Hält ein Spieler den Ball in der Hand, dauert es etwa zwei Sekunden, bis er von der gegnerischen „Defense“ überrannt wird. Ein Spielzug dauert höchstens fünf Sekunden.

„Das ist wie Rasenschach“, erklärt Dirk-Uwe Just, der seit 17 Jahren die Ergebnisse der NFL verfolgt und das diesjährige Finale auf der Super Bowl Party. „Es geht die ganze Zeit darum, sich eine Strategie zu überlegen, die so gut ist, dass der Gegner sie nicht vorhersehen kann.“ So gebe es etwa beim Handball rund 50 verschiedene Standard-Strategien, sagt Just. Wenn dagegen im American Football der „Center“ den Ball durch die Beine zum „Quarterback“ ins Spiel bringt, sind – theoretisch – um die 200 verschiedenen Aktionen denkbar. „Das wird alles vorher genau abgesprochen“, weiß Just. „Wenn dann etwas schiefgeht, kommt es darauf an, flexibel zu reagieren.“ Unter dem Strich kommt man bei diesem Rasenschach auf eine gespielte Stunde – gesendet werden vier. Viel Raum für Werbung, die in diesem Fall für rund fünf Millionen Dollar pro Minute verkauft wurde.

Dutzende Kameras im Gummimantel

Die übrige Zeit wird mit ergreifenden Bildern überbrückt. Man sieht Spieler in Nahaufnahme die Zähne fletschen, man sieht Schweiß und Regen über ihre Stirn laufen, sieht den erschöpften Blick in ihren Augen und den dicken Strich schwarzer Schminke darunter. Im strömenden Regen Floridas sind dutzende Kameras im Gummimantel auf das Spielfeld und die Spielerbänke gerichtet.

Manchmal ist zu sehen, dass Kameraleute sogar auf dem Rasen sind, die Linse keine Handbreit vor die Spielergesichter halten. Embedded Journalists, sozusagen. Immer wieder fliegt die Kamera über die Reihen der Spieler hinweg. Aufregende Bilder für die Minuten, die Stunden, in denen nichts passiert.

Es regnet weiter Bindfäden auf die 70.000 Zuschauer in Miami. Wie eingefroren sitzen sie in Ponchos auf den Bänken. Keiner denkt daran, zu gehen – zum Schluss haben die Tickets 7.500 Dollar gekostet. Wenigstens gibt es dafür ein gutes Spiel zu sehen: Aus ihrer anfänglichen Versenkung arbeiten sich die Colts dank ihres Quarterbacks Peyton Manning heraus. Sie verwandeln den Rückstand in eine Führung und halten sie bis zum Schlusspfiff.

Und der ertönt in Miami nur wenige Stunden vor den Weckern in Hamburg. Das globale Sporterlebnis ist eben Kräfte zehrend.