. . . Brillanz, Genie, Schönheit (& c & c) . . .“

Mrs. Woolf auf dem Weg zum Weltruhm, schwankend zwischen empfindlicher Nervosität und Vergnügungsseligkeit. Virginia Woolfs Tagebücher aus den Jahren 1925 bis 1930 bieten verschärfte Mitteilungen vom Schlachtfeld der Gefühle  ■   Von Frauke Meyer-Gosau

Mrs. Woolf hält sich für hässlich. Wie formlos und lächerlich hängt ihr Haar im Nacken herunter, was für eine alberne, wenig erfolgreiche Mühe, sie zu etwas Ähnlichem wie einer Frisur herzurichten. Und wie schlecht gekleidet sie ist! Dabei liebt sie schöne Gewänder, bewundert besonders ihre Schwester für deren Stil, ihre Hüte. Fasst sie sich aber endlich mal ein Herz und geht zu der Schneiderin, die Mrs. Brooke, die Herausgeberin von Vogue, ihr empfohlen hat, und tritt aus diesem Abenteuer auch tatsächlich hervor in einem edleren Kleid, mit einem modischen schwarzen Hut – da genügt ein Abend mit Freunden, um sie zerstört zurückzulassen. Dabei hatte alles so amüsant angefangen. Eine Abendgesellschaft: Man plaudert, lästert und scherzt, kurz, man unterhält sich blendend. Und weil es für die nächste Party noch zu früh ist, schaut man bei ihrem Exschwager Clive vorbei. Der zeigt sich entzückt, alles läuft weiterhin wunderbar. Bis er sich einfallen lässt, Mrs. Woolf zu fragen, „was für einen erstaunlichen Hut“ sie denn da eigentlich trage, wer ihr den denn empfohlen habe. Sie schluckt. „Brooke“, antwortet an ihrer Statt ihre Geliebte, die „rosaglühende, klunker- und perlenbehangene“ exotische Schönheit Vita Sackville-West. Auch das Kleid sei doch recht wundersam, geht es weiter. Von wem das wohl stamme? „Brooke“, wiederholt Vita stoisch, während Mrs. Woolf stumm ihrer Demontage folgt – ein Gesellschaftsspiel, ein kleiner Scherz zwischen zwei Gesellschaften. Oh nein, wohl nicht nur.

Ein Wetterhahn der Empfindlichkeit

Denn Virginia Woolf, 44 Jahre alt zu diesem Zeitpunkt, ist nach dem Erscheinen ihres Romans „Mrs. Dalloway“ unstreitig auf dem Weg zum Weltruhm. Sie ist nervös, empfindlich, ängstlich – einerseits. Andererseits aber vergnügungsselig, spöttisch und zuzeiten nicht weniger erbarmungslos als ihrepeers. Von wiederkehrenden, „Kopfschmerzen“ genannten Depressionen heimgesucht, die sie unter die minutiöse „Beaufsichtigung“ durch ihren Ehemann zwingen – damit sie ausreichend isst und keinerlei Aufregung ausgesetzt wird. Denn Mrs. Woolf ist nicht nur ein „Wetterhahn der Empfindlichkeit“, wie sie zwei Tage nach der Demütigung fast erstaunt in ihr Tagebuch schreibt, ihr Inneres nicht einfach „ein Schlachtfeld der Gefühle“. Leicht kann der Ausgang dieser Schlacht sich dem Wahnsinn zuneigen, das wissen die Woolfs nach 14 Ehejahren, und Kränkungen ihres labilen Selbstwertgefühls, ja, auch nur befürchtete, angstvoll vorgestellte Kränkungen können immer wieder das auslösen, was sie unter der Überschrift „Ein Geisteszustand“ im September 1926 in ihrem Tagebuch skizziert. „Wachte etwa gegen 3 auf. O es fängt an, es kommt – das Entsetzen – physisch wie eine schmerzhafte Welle, die um das Herz anschwillt – mich hochschleudert. Ich bin unglücklich, unglücklich! Nieder – Herrgott, ich wünschte, ich wäre tot. Pause. Aber warum fühle ich das? Ich will beobachten, wie die Welle steigt. Ich beobachte. Vanessa. Kinder. Versagen. Ja; das entdecke ich. Versagen, Versagen. (Die Welle steigt). Ach, sie haben über meine Vorliebe für grüne Farbe gelacht! Die Welle bricht. Ich wünschte, ich wäre tot!“ „Macht jeder solche Zustände durch?“, fragt sie sich schließlich. „Warum habe ich so wenig Kontrolle? Es ist nicht rühmlich, noch liebenswert. Es ist die Ursache von viel Vergeudung & Schmerz in meinem Leben.“ Zugleich aber ist gerade dies der (schwankende) Boden ihrer Produktivität, die Quelle ihrer außergewöhnlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Virginia Woolfs „Tagebücher 1925–1930“, die nun in der gewitzten, leichtfüßig modernen Übersetzung von Maria Bosse-Sporleder vorliegen, zeigen sie auf dem Höhepunkt ihrer Möglichkeiten – als Autorin und Kritikerin, aber ebenso als gesellschaftliches, als Beziehungs-Wesen. „Mrs. Dalloway“ und die Essaysammlung „The Common Reader“ sind gerade von der Kritik gefeiert worden, schon beginnt ihre Arbeit am Zeit- und Familienporträt „To the Lighthouse“. Folgen werden diesem Roman, den sie 1926 abschließt und, trotz aller Ängste und inneren Schwankungen, für „durchaus das beste meiner Bücher“ hält, in kurzem Abstand die furiose Parodie eines historischen Romans, „Orlando“, sowie das komplexe Stimmengespinst der „Wellen“, die ihr einen Ehrenplatz im Pantheon der literarischen Moderne sichern werden. Nichts Geringeres ist ja auch ihr Ziel, und jeden glückenden Schritt dorthin genießt sie in vollen Zügen. „Ich glaube allerdings“, notiert sie 1927 nach dem überwältigenden Erfolg von „To the Lighthouse“, „dass ich jetzt fast eine etablierte Persönlichkeit bin – als Schriftstellerin. Sie lachen nicht mehr über mich. Bald werde ich für sie etwas Selbstverständliches sein. Möglicherweise werde ich noch eine gefeierte Autorin.“

So wird es sein. Und jeden Einbruch in die Seelenruhe, jede noch so heftige Krise kann sie in diesen Jahren mit Mut und enormer Disziplin letztlich doch immer wieder in Produktivität, in wilde Arbeits- und Lebenslust verwandeln. Denn diese Mrs. Woolf ist ja nicht zuletzt auch eine äußerst tatkräftige Person. Als gefragte Kritikerin und Essayistin liebt sie die „Macht, große Summen zu verdienen, indem man Meinungen über Stendhal & Swift formuliert“. Und da sie überdies mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Verlag Hogarth Press als Setzerin arbeitet und dabei zugleich ihre eigene Verlegerin ist, sieht sie sich zu Recht als „die einzige Frau in England, die frei ist zu schreiben, was ich will“. Auch das, nicht anders als das Kritiken- und Romanschreiben, bedeutet eine „großartige Tröstung & Geißel“ – und eine Befestigung im Leben auf jeden Fall. Die sogleich wieder praktische Folgen hat: Was Virginia Woolf mit ihren Arbeiten verdient, wird umgesetzt in „ein Badezimmer & ein WC“ in ihrem karg ausgestatteten Landhaus in Rodmell, es fließt in Urlaubsreisen nach Frankreich und Italien, mündet in Fahrstunden für Leonard und sie selbst und schließlich in einen Autokauf.

Doch von Natur aus unbestreitbar gesellig

„Meine Gier ist immens“, vermerkt sie ironisch, nachdem sie sich länger darüber gegrämt hat, dass das Haus des befreundeten Wirtschaftswissenschaftlers Maynard Keynes voller herrlicher Teppiche liegt. „Ich möchte £ 50 eigenes Geld in der Bank haben, um persische Teppiche, Töpfe, Stühle & c zu kaufen.“ Und schöne Kleider natürlich, um auf den Gesellschaften zu glänzen, „denn ich bin von Natur aus gesellig, das lässt sich nicht abstreiten“. Gleich darauf aber erscheint sie schon wieder ganz anders, versehen nämlich mit „Behaglichkeit, Pantoffeln, Rosinenbrötchen, Schokolade“, ein Kreuzstichmuster für einen Stuhlbezug stickend, den ihre Schwester, die Malerin Vanessa Bell, entworfen hat.

Abrupte Wechsel und Schwankungen sind das eigentlich Beständige in dieser Lebensgeschichte: ein fortwährendes Umschlagen zwischen Innen und Außen, Zurückgezogenheit und Gesellschaftsleben, Schreiben und Handarbeit. Darin und dazwischen sieht man in diesem Lebens-Arbeits-Tage-Buch dann das literarische Werk immer intensiver aufblühen. Wobei auch das Geldverdienen natürlich keine geringe Rolle spielt; kurios, wie Virginia Woolf rechnet und überschlägt, was sie noch zusammenbringen und das heißt: schreiben muss, damit die Woolfs sich ein paar Extraausgaben leisten können – ganz so, als sei sie der Haushaltsvorstand, der für das Wohlergehen dieses Paares geradezustehen hat.

Wiederkehrend, neben der Arbeit und den „Kopfschmerzen“, neben all den Menschen, die sie trifft und beobachtet, und nicht zuletzt den Auftritten der Köchin Nelly, die sie mit immer neuen Gekränktheiten und Kündigungen in Schach hält, ist während dieser fünf Jahre allerdings auch die Liebe ein Thema – eines, das eigentümlich verhalten berührt wird. Seit dem Dezember 1925 nämlich sind Virginia Woolf und die notorische Herzensbrecherin und adlige Diplomatengattin Vita Sackville-West ein Liebespaar: In „Orlando“ erzählt sie für Vita die Fantasiegeschichte ihres einst bedeutenden Geschlechts. Doch während im Tagebuch all die Marys, Sybils, Ethels und Janets bis ins Detail ausgeleuchtet werden, bleibt diese Liebesbeziehung bis auf wenige glühende Sätze, ein paar Szenen, dann Fragen und Zweifel eher im Halbdunkel, und man muss sich schon selbst sein Teil denken (oder die Briefe lesen!), wenn es einmal wie beiseite heißt, die Beziehung zu Vita sei „unschuldig (gedanklich)“. Was für eine seltsame Diskretion vor sich selbst! Doch zeigte sich für Virginia Woolf offenbar erst in ihren Romanen wirklich, welches die entscheidenden Erfahrungen ihres Lebens waren und was sie ihr bedeuteten. „Es ist dieses Schreiben, das mir meine Proportionen gibt“, lautet der letzte Satz dieser Tagebücher. Für die LeserInnen legen diese 500 Seiten „Brillanz, Genie, Charme, Schönheit (& c & c)“ nun das schön schimmernde Geländer aus Tatsachen, Stimmungen und Beobachtungen frei, an dem entlang Mrs. Woolfs scheinbar frei schwebendes Sehen und Schreiben sich bewegte.

„Virginia Woolf: Tagebücher 1925–1930“. Aus dem Englischen von Maria Bosse-Sporleder. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1999. 551 S., 78 DM