piwik no script img

Nachteinkauf bleibt Ausnahme

Nur wenige Geschäfte nutzen noch die verlängerten Ladenöffnungszeiten. Nach 20 Uhr stehen die Kunden meist vor verschlossenen Türen – selbst einstige Trendsetter machen wieder früh dicht

von Tim Westerholt

Die verlängerten Ladenöffnungszeiten stoßen nur auf geringe Resonanz. Viele Geschäfte nutzen die neuen Freiheiten gar nicht oder nur an wenigen Tagen die Woche. Auch die Kaufhäuser, die im Dezember fast täglich erst um 22 Uhr schlossen, sind überwiegend zu ihren früheren Öffnungszeiten zurückgekehrt. Diese Entwicklung freut Kritiker der im November beschlossenen Freigabe der Öffnungszeiten: „Die erhofften positiven Effekte sind ausgeblieben“, sagt Günther Waschkuhn, Fachbereichsleiter beim Ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg. „Das Gesetz ist ein Misserfolg.“

Am 17. November, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft, erteilte der Senat den Einzelhändlern das Selbstbestimmungsrecht über ihre Öffnungszeiten zwischen Montag und Samstag. Man hoffte auf Umsatzsteigerungen und neue Arbeitsplätze. Auch die Kritik von Ver.di änderte daran nichts. In den Wochen vor Weihnachten weiteten zahlreiche Geschäfte ihre Öffnungszeiten aus – teilweise konnten Kunden rund um die Uhr einkaufen.

Doch die Euphorie ist verflogen. Selbst für die großen Läden scheint sich tägliches Night-Shopping nicht zu lohnen. Zehn der 14 Berliner Karstadt-Häuser haben nie länger als bis 20 Uhr offen, drei öffnen nur zweimal die Woche bis 22 Uhr. Gerade eines lädt Montag bis Samstag bis zu dieser Zeit zum Einkauf.

Bei Kaufhof sieht es ähnlich aus: Drei der fünf Häuser öffnen höchstens zweimal die Woche bis 22 Uhr. Christoph Schilling, Geschäftsführer der „Galeria Kaufhof“ in Hohenschönhausen, erklärt dies damit, dass man von der Stammkundschaft lebe. Und deren Kaufverhalten habe sich nicht verändert. Längere Öffnungszeiten würden sich aufgrund zu geringer Kundenzahl und erhöhten Beschäftigungskosten nicht lohnen.

Das Kulturkaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße war einer der Vorreiter bei der Forderung nach einer liberaleren Gesetzgebung. Heute variieren die Schließzeiten zwischen 24 und zwei Uhr nachts – wobei ausgerechnet am Wochenende die früheren Zeiten gelten. Die im Weihnachtsgeschäft eingeführten „Shopping-Nächte“ rund um die Uhr von Freitag auf Samstag wurden wieder eingestellt. Warum, weiß auch Dussmann-Sprecherin Bianca Krömer nicht. Sie betont dennoch, dass im Dezember 20 Prozent des Umsatzes nach 20 Uhr erwirtschaftet wurden. Ob sich der Gesamtumsatz gesteigert hätte, dürfe sie nicht sagen. Auch seien zusätzliche Verkäufer eingestellt worden – konkrete Zahlen wollte Kröger wiederum nicht nennen.

Mit dieser Entwicklung liegen die Berliner Konsumenten im bundesweiten Trend: Laut einer Forsa-Umfrage waren bis Ende Januar nur 23 Prozent schon einmal nach 20 Uhr einkaufen. Die Gewerkschaft sieht ihre früheren Befürchtungen bestätigt. „Die meisten Geschäfte können auf das neue Gesetz nicht zurückgreifen“, so Fachbereichsleiter Waschkuhn.

Beim Einzelhandelsverband teilt man diese Kritik nicht. Hauptgeschäftsführer Nils Busch-Petersen zieht vielmehr eine positive Bilanz. 25 bis 30 Prozent aller Einzelhändler würden die neuen Möglichkeiten ganz oder teilweise nutzen. „Es ist ein Angebot an die Geschäfte, ihre Öffnungszeiten dem Kundenstrom anzupassen.“ Nach 15 Jahren mit rückläufigen Umsatzzahlen erwarte man ein leichtes Plus für 2006. Dazu beigetragen hätten neben dem Weihnachtsgeschäft vor allem die längeren Öffnungszeiten.

Neue Arbeitsplätze könne man so schnell jedoch nicht erwarten, so Busch-Petersen, denn bisher seien jedes Jahr bis zu 4.000 Stellen abgebaut worden. Er glaubt jedoch, dass das Gesetz auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen werde. Dieter Waschkuhn glaubt das nicht: „Die Erfahrung zeigt, dass verlängerte Öffnungszeiten die Tendenz der Arbeitgeber fördern, qualifizierte Arbeitsplätze durch Billigjobs zu ersetzen.“ Zumindest die „Galeria Kaufhof“ am Alexanderplatz scheint ihm Recht zu geben. 40 Stellen habe man seit der Gesetzesänderung geschaffen, sagt Geschäftsführer Detlef Steffens – überwiegend Aushilfen. Immerhin würden sie auch nach dem Weihnachtsgeschäft weiter beschäftigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen