„Menschheitsschande“

Die Auslandsausgabe der „Hürriyet“ macht Stimmung gegen ein vermeintliches Türkisch-Verbot in Deutschland

„Kein Verbot für die Welt-Sprache!“, titelte die Hürriyet und sprach von einer „Menschheitsschande“. Schließlich sprächen weltweit 300 Millionen Menschen Türkisch. Nur ein Beispiel für die Kampagne, die das türkische Massenblatt seit dem Herbst gegen ein vermeintliches Türkisch-Verbot in Deutschland fährt. Der letzte Aufreger: die Entscheidung der Stadt Rastatt, Muttersprachenunterricht für Einwandererkinder nicht mehr in Schulräumen abzuhalten.

Die Zeitung hetzt gegen angebliche Türkei-Kritiker – und findet Gehör: Denn Hürriyet („Freiheit“) ist die meistgelesene türkischsprachige Tageszeitung und verkauft auch in Deutschland rund 53.000 Exemplare täglich. In der Türkei selbst ist das Blatt mit einer Auflage von über 500.000 Exemplaren sogar Marktführer. Im Unterschied zum türkischen Original enthält die Deutschland-Ausgabe zusätzliche Europa-Seiten. Aber es gibt noch bemerkenswertere Unterschiede zwischen den beiden Versionen: Zwar versucht die Zeitung sich in der Türkei nicht zu weit von der offiziellen Staatsdoktrin zu entfernen, doch spielen hier Kolumnisten eine große Rolle. So kann es geschehen, dass Hürriyet in der Türkei als „liberales Testlabor“ genutzt wird, um über diese Kolumnen heikle Themen wie die Situation der Kurden oder das Kopftuchverbot anzusprechen.

In der deutschen Ausgabe müht man sich dafür umso mehr, die türkische Fahne zu schwenken: Sobald die Heimat kritisiert wird – oder auch nur eine Vorahnung existiert, dass etwas Derartiges droht, steht Hürriyet Gewehr bei Fuß. Die Boulevardzeitung pflegt dabei eine populistische Berichterstattung, die an Bild erinnert. Kein Zufall also, dass Bild-Chef Kai Diekmann im Beirat von Hürriyet sitzt und dort – wie Hürriyet-Chefredakteur Ertugrul Özkök im Gegenzug bei Bild – auch schon mal als Gastkommentator zur Feder greift.

„Die türkische Sprache darf in Europa nicht vergessen werden“, mahnte zuletzt Kolumnist Sait Özcan in der Hürryet. Er beschwerte sich, dass unter dem Vorwand der Integration ein Türkisch-Verbot in Deutschland verhängt werden sollte. Dabei gibt es ein solches Verbot in Deutschland nicht und es wird auch keines angestrebt. Was es gibt, sind Empfehlungen, dass Kinder auf dem Schulhof keine Fremdsprachen benutzen sollen.

Dennoch: Als im vergangenen Herbst die hessische Gemeinde Dietzenbach beschloss, dass in ihren Kindergärten zur „Förderung der Integration“ nur noch Deutsch gesprochen werden sollte, mobilisierte die Hürriyet voller Empörung ihre Leser gegen diese Verfügung. „Wacht auf!“, schrieb Umran Ertok in seiner Kolumne. Die Diskussion um Sprachverbote fördere die Integration nicht. Im Gegenteil: „Sie führt zu einer Assimilation“, kritisiert Ertok.

Und wo man schon dabei ist: Gern werden dabei auch noch Parallelen mit den Kurden im eigenen Land gezogen – ein vermessener Vergleich, denn erst 2002 wurde Kurdisch in der Türkei im öffentlichen Leben wieder zugelassen. Und trotzdem fragte Sait Özcan in der Hürriyet: „Wie kann uns vorgeworfen werden, dass bei uns die kurdische Sprache unterdrückt wird, wenn uns das Türkische verboten werden soll?“ CIGDEM AKYOL