Andy Apparate

Den ARD-Jugendradios laufen die Hörer davon. Der WDR-Vorzeigesender EinsLive will dem Trend nun gegensteuern – mit zweifelhaften Mitteln

Klagen über die fade schmeckende Charts-Pampe, die tagtäglich durch die Jugendwellen schwappt

VON BORIS ROSENKRANZ

Fragt sich nur, wo die Achtzigerjahre-Kalauer „Reiner Zufall“ und „Axel Schweiß“ geblieben sind? „Dr. Andy Möpse“ ist jedenfalls da. Ja, richtig gelesen: Andy Möpse. So heißt eine der neuen Comedyfiguren, die mithelfen sollen, dass EinsLive zu „mehr Ernsthaftigkeit“ gelangt. Zu beweisen, dass die WDR-Jugendwelle „kein Unterhaltungsdampfer“ ist, wie EinsLive-Programmchef Jochen Rausch beteuert, ist nämlich ein Ziel des Relaunchs vor zwei Wochen. Das andere: EinsLive will die Jugend zurückerobern, die ihr seit einigen Jahren stetig abhanden kommt. Aber jetzt ist ja Mister Möpse da. Das wird.

So hofft es zumindest der WDR, nachdem 2006 immerhin 16 Prozent der Hörer die Jugendwelle abgeschaltet haben und das Durchschnittalter auf 34 Jahre stieg. Zeit zu handeln also, denn „wer sich nicht verändert“, sagt die künftige WDR-Intendantin Monika Piel, „hat keine Zukunft“. Und die sieht ohnehin nicht rosig aus: Als EinsLive 1995 aus dem alten WDR 1 hervorging, sollte es die Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen binden, die zum privaten Hörfunk überlief. Doch nun gehen die Hörer wieder stiften. Das macht nicht nur EinsLive zu schaffen, sondern auch allen ARD-Jugendwellen, ob N-Joy (NDR), YouFM (HR) oder dem Berlin-Brandenburger Jugendradio Fritz.

Der Grund für den Schwund: Lieber als vor dem Empfänger zu hocken, um einem statischen und zuweilen – siehe oben – ballermännlichen Programm zu folgen, ernennen sich Jugendliche rasch selbst zum Programmchef und zimmern ihr eigenes Radio. Im Netz steht fast alles zum Abruf bereit, also unabhängig von fixen Sendezeiten. Da hat ein alterndes Medium wie der Hörfunk nur das Nachsehen. Zumal dieser, gehört er einer öffentlich-rechtlichen Anstalt an, im Internet lediglich „programmbegleitend“ agieren darf.

Überdies haben sich die Sender verpflichtet, dass ihre Online-Auftritte nicht mehr als 0,75 Prozent des Budgets verschlingen. Das schützt einerseits davor, dass Webseiten gebührenfinanziert mit Nonsens überfrachtet werden. Andererseits schränkt es ein in Zeiten, in denen das Internet alles aufzusaugen scheint und junge Menschen nicht nur Musik und Podcasts laden, sondern auch interagieren wollen.

Allerdings: Die Schuld für die Radiokrise allein im Netz zu suchen, träfe die Sache nicht ganz. Bestes Bindeglied zwischen Sender und Hörer ist die Musik. Und nicht nur Fachleute beklagen fortwährend, was für eine fade schmeckende Charts-Pampe da tagtäglich durch die Jugendwellen schwappt. Am Beispiel EinsLive wird das schnell klar, denn auch der Relaunch hat am Hauptproblem, dem Einheitsgedudel, nichts geändert. Neben einem passablen Abendprogramm mit Sendungen wie „Klubbing“ oder der des WDR-Urgesteins Klaus Fiehe folgt tagsüber Hit auf Hit auf Hit. Xavier Naidoo, Coldplay, Juli – alles schon tausendmal gehört. Da genügen wenige Stunden, bis Übersättigung eintritt.

Zumal es auch anders geht, wie ein Blick in die Nachbarschaft zeigt. Der österreichische Sender FM4 macht seit zwölf Jahren vor, wie Jugendradio auch klingen kann – nämlich ernst und locker zugleich. Damit hat der Sender dank Internet längst auch Fans in Deutschland gefunden. Die Musikauswahl ist zuweilen wild. Da steht Hiphop neben türkischem Jazz neben deutschem Pop – und ja, das funktioniert, zumal es von anspruchsvollen Kultur- und Politikberichten eingerahmt wird. Letztere entstehen in Kooperation mit der BBC und CNN – die Nachrichten laufen sogar auf Englisch, weil dies ein österreichisches Gesetz so vorschreibt.

Womit wir sozusagen wieder bei Ernsthaftigkeit wären, für die bei EinsLive vor allem Heiner Heller zuständig ist. Der Nachrichtenmann ist neuer Wortchef des Kanals, war bereits in den Gründerjahren dabei und zuletzt Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio. Resultat: EinsLive sendet mehr Nachrichten und will auch bei den sogenannten Wortstrecken zulegen. Manche davon wirken allerdings wie eine hilfloser Versuch, Hörer zu binden. Die Call-In-Show „Sektor“ etwa, in der die „Themen des Tages“ besprochen werden sollen, war in den ersten beiden Wochen so dünn wie eine ausgelesene Bravo: Gut, mal ging es um Gewalt an Schulen, meistens aber wurde über Horoskope gequatscht, über Paparazzi palavert oder, wenn gar nichts mehr ging, übers Wetter.

Wenn das modernes Radio ist, dann gute Nacht. Und wer weiß: Vielleicht geht’s im „Sektor“ bald auch mal um Schönheitschirurgie. Moderator: Dr. Andy Möpse.