berliner szenen Wartezeit

Mit Familienanschluss

Fast drei Uhr, samstagmorgens, in Schöneberg, U-Bahnhof Eisenacher Straße, es herrscht ein scheußliches Farbenspiel zwischen Grün und Rot vor. Der Mann auf der Bank neben mir singt mittellaut zu der Musik mit, die er auf seinem Walkman hört. Sein Englisch – es könnte Englisch sein – ist unverständlich, er lallt stark. Er ist vielleicht Anfang fünfzig, grau in grau gekleidet.

Plötzlich klingelt sein Handy mit dem alten Ron-Sommer-sagt-wir-werden-alle-reich-Telekom-Volksaktien-Klingelton. Er drückt den grünen Knopf und sagt, ohne ein Wort abzuwarten: „Jai, ich bin auf’m U-Bahn’ Eisenacha, der Zug kommt gleich, jai.“ Man hört leises Sprechen aus dem Telefon. „Jai“, sagt der Mann und nickt. „Wo sind ’n die Gör’n? Alle da? – Wie? – Wer is’ nich’ da – ach ja. Bahn kommt gleich so.“ Er klappt sein Handy zusammen, fummelt an den Ohrsteckern und beginnt wieder undeutlich zu singen, man weiß nicht, ob er bei einem schnellen Rockstück mitsingt oder bei einer Ballade.

Nach einer halben Minute klingelt sein Handy wieder in den Nuschelgesang hinein, wieder kramt er das Handy hervor und redet, ohne eine Anrede abzuwarten. „Jai, ich bin doch jetz’ bald zu Hau’e, bin auf’m U-Bahn’ Eisenacha, Bahn kommt gleich so. – Jai, die fährt Wochenende voll durch, immer Samfreitag durch, nee, keine Baustell’. Was is ’n sowieso … – Nee, nich’ viel – Nee! – Hör ma’, drei Gläsa, das is’ do’ nich’ … – Wieso bis’ du übahaupt noch wach? – Du warst aus? – Un’ die Gör’n? Is doch kein Wunda, wenn die … Jai, Bahn kommt gleich so. – Jai, fährt durch, fährt durch. – Was? – Jai, mach mal Kaffee.“ Er steckt das Handy wieder weg und beginnt zu singen. „Easy“ ist das einzige Wort, das ich deutlich verstehen kann. Dann kommt seine Bahn.

JÖRG SUNDERMEIER