Zu viel Ruhe bewahren

Trotz viel Öl, Rotlicht, nackten Körpern und expliziten Szenen: Der Spielfilm „Der Masseur“ des philippinischen Regisseurs Brillante Mendoza ist ein kaltes Drama um fehlende Väter, käufliche Liebe und katholische Bigotterie

Ein Männerpuff in einem Hinterhof von Manila. Der Besitzer preist die Dienste seiner Jungs an, die hinter einem Schaufenster Billard spielen. „Den im gelben T-Shirt!“, bestimmt der Kunde. Der im gelben T-Shirt, Iliac, greift nach dem Massageöl, schlüpft in die Badeschlappen und geht an seinen Arbeitsplatz. Wenig später fährt er mit einem Fahrradtaxi in einen Vorort und betritt zögerlich das Grundstück seiner Eltern. Niemand ist da. Der Vater sei am Vorabend ins Krankenhaus eingeliefert worden, berichtet die Nachbarin. In den Gängen der Klinik erfährt er, der Bestatter habe ihn bereits abgeholt. Höflich bedankt sich Iliac für die Auskunft. „Observe Silence“ steht in roten Lettern an der Wand.

Das könnte der Titel dieses Films sein – Ruhe bewahren, die Stille nicht stören, den Anschein aufrechterhalten um jeden Preis. Das ist die Devise in beiden Lebenssphären von Iliac, im Massagesalon, wo verheiratete Männer ihre wahren Bedürfnisse befriedigen, und in seiner katholischen Familie, die stillschweigend von den Verdiensten des Sohnes lebt. Unaufgeregt, fast lakonisch erzählt der philippinische Regisseur Brillante Mendoza (geboren 1960) die Geschichte des jungen Masseurs, der mit der widersprüchlichen Moral seiner Umgebung konfrontiert wird. Die nüchternen Tatsachen werden in malerisch komponierte Bildern gefasst, gesprochen wird wenig.

Als Iliac seinen Vater wiedersieht, ist der für die Totenwache aufgebahrt. Die Verwandten verhandeln über die Konditionen der Bestattung. Als ältester Sohn ist es Iliacs Aufgabe, den Leichnam einzubalsamieren und für das Begräbnis herzurichten. Eine parallel geschnittene Bildfolge zeigt, wie Iliac dem Vater vorsichtig das Totenhemd überzieht und sich und einen Kunden entkleidet. Er knetet Öl in die Fußsohlen von Kunde und Leichnam; dann fährt die Kamera über die rötlich beleuchteten Zellen des Massagesalons, die an die Abteile auf dem Friedhof erinnern.

In dieser rhythmischen Verschneidung der festgelegten Rituale von käuflichem Sex und luxuriöser Bestattung liegt das Originelle dieses Films, der 2005 im Videowettbewerb des Filmfestivals von Locarno mit einem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde. Mendozas Bildsprache folgt dabei nicht einer süßlich morbiden Ästhetik, sondern spinnt ein komplexes psychologisches Geflecht, das sich aus Andeutungen entwickelt. Die pflichtschuldig geheuchelte Trauer um den verstorbenen Vater, der die Familie verlassen hat und für Iliac schon lange ein abwesender Vater war, spiegelt sich in der Emotionslosigkeit, mit der Iliac seine Sexarbeit leistet. Einzig zu seinem Stammkunden scheint er eine unausgesprochene Beziehung entwickelt zu haben – in Wellenbewegungen von Anziehung und Abstoßung baut Iliac ihn zu einem Vaterersatz auf. Allerdings bleibt auch diese Konstellation unerfüllt, kauft sich der Stammkunde doch nicht nur seinen Körper, sondern verwertet sogar die Geschichten, die Iliac ihm erzählt, für die Groschenromane, die er schreibt.

Und so bleibt Iliac gefangen zwischen Vater und Kunde, passiv und emotional depraviert in einem Kreislauf der Abhängigkeiten. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, dass dieser Film, der viele nackte Körper als Rädchen in einem kalten Drama zeigt, als „homoerotisches Bilderkino“ angepriesen wird. Und dass der Verleih die DVD ausgerechnet mit einer Werbung für den Softporno „Männer in Manila“ ergänzt hat. Denn das kluge Drehbuch von „Der Masseur“ hat mehr zu bieten als eingeölte Muskelpakete und schwarze Augen. IRENE GRÜTER

„Der Masseur“. Regie: Brillante Mendoza. Darsteller: Coco Martin, Allan Paule u. a. Philippinen 2005, 76 Min. Läuft im Xenon