: Glück ist geil
Sie sind die Glücksingenieure von Berlin Mitte. „36 Grad“ ist das neue Album des Elektropop-Duos 2raumwohung. Und so hemmungslos, naiv und aufdringlich das mitunter klingt: Der Appell an den Alltagshedonismus dürfte nicht ungehört verhallen
VON THOMAS WINKLER
„Gaysenshi“ ist begeistert. Er oder sie „könnte heulen, so froh bin ich“, und schöpft allein durch die Aussicht auf das neue Album „neue kraft“. Doch aus Sorge, die Lieblingsband könnte es bald schon nicht mehr geben, bekommen selbst beste Freunde die CDs nicht gebrannt. Sie sollen sich die Platte selbst kaufen. „rike“ wiederum war aus „Angst vor großen Menschenmassen“ mit ihren 34 Jahren erst auf einem einzigen Konzert. Sie findet auch, dass, sobald man die Band hört, für die sie ihre Platzangst überwand, „der graue Tag hellblau“ wird. „catsmile“ lebt in Brasilien, hat von „euch in Deutsche Unterricht gehört und hatte viel gemagt“, und hofft nun auf einen Auftritt in Recife. Und „Russisches Maedchen“ überwand „viele Probleme, um das Album dieser Gruppe in Moskau zu finden“, und ist nun hin und weg: „Super, toll, fantastisch.“
Aus diesem kleinen Ausflug ins Forum auf der Website von 2raumwohnung lernen wir: Auf das Duo aus Berlin können sich Download-Gegner und Agoraphobikerinnen ebenso einigen wie brasilianische Deutschschülerinnen und Germanophile aus Russland. 2raumwohnung macht sie alle glücklich. Kein Wunder: Das Glück, vor allem in seinen sonnigeren Schattierungen, ist fast das einzige Thema, dem sich das Berliner Duo in seinen Liedern widmet. Auf dem neuen Album „36 Grad“ (It Sounds/EMI) ist die Liebe stets erfüllt, fast immer leicht, oft frei und nur selten getrübt von zwischenmenschlichen Problemen. Diese von Inga Humpe so ausführlich besungene Liebe ist natürlich die zu ihrem Lebensgefährten und musikalischen Partner Tommi Eckart. Die funktionierende Zweierbeziehung zwischen der 51-jährigen Neue-Deutsche-Welle-Veteranin und dem 43-jährigen Elektrotüftler bildet das Rückgrat ihrer Musik und gehört ebenso zum Erfolgskonzept wie die lichtdurchfluteten Melodien ihrer Songs. So singt Humpe selbstvergessen: „Du bewegst dich, ich fühl dich“, und Eckart lässt dazu freundliche Beats tröpfeln.
Die Versöhnung von Poppolitischem und Privatem, von Tanzboden und Hitparade, von Schlager und Techno, von Party und Besinnlichkeit ist also immer noch in vollem Gang, aber nicht mehr ganz so in der Balance wie zu Beginn ihrer Karriere. Vielleicht weil Humpe und Eckart nach vielen Jahrzehnten im Musikgeschäft ein untrügliches Gespür für den Zeitgeist entwickelt haben. Sie waren zur Stelle, als die Anonymität des DJs als Sackgasse und das Glücksversprechen des Techno als leere Phrase entlarvt wurden. Als Pop und Tanzboden eine Liaison eingingen, waren Gesichter zur elektronischen Musik gefragt und Inhalte: Humpe und Eckart lieferten beides und auch noch eine Geschichte mit Boulevard-Potenzial, die die Medien gern noch einmal erzählten. Der erste Erfolg des ungleichen Liebespaars, der für die Kinowerbung einer ostdeutschen Zigarettenmarke in Auftrag gegebene Hit „Wir trafen uns in einem Garten“, war zwar ebenso Zufall wie Überraschung, aber seitdem befinden sich Humpe und Eckart dort, wo die schon lange zuvor ausgiebig bearbeitete Schnittstelle zwischen Song und Track endlich auch Rendite abwirft.
Mittlerweile aber hat sich der Trend wieder aus den Clubs entfernt und ist zurück auf die Bühne gewankt. Das Publikum hat genug von der knallig produzierten Konserve und will wieder das menschlich-warme Live-Erlebnis. Also neigt sich auch das Pendel auf „36 Grad“ immer deutlicher zu einem akustischen, klassischen Popsound. Klar, ohne den Computer ist heutzutage keine Musik mehr zu produzieren, aber mit welchen Ausgangsmaterialien er gefüttert wird, das ist entscheidend. Humpe und Eckart haben vor allem akustische Gitarren verfüttert und reichlich Streicher, während die Elektrobeats eher zurückhaltend rattern. Schon für ihr letztes Album „Melancholisch schön“ hatten sie 2004 die eigenen alten Hits im warmen Bossa-Nova-Sound neu aufgenommen. Auf Tour gingen sie zuletzt nicht wie in all den Jahren zuvor zu zweit durch Discos, sondern mit kompletter Bandbesetzung durch die großen Hallen, zum Teil sogar im Vorprogramm von Herbert Grönemeyer, dessen Publikum beim Wörtchen „Club“ wahrscheinlich ausschließlich an Fußball denken muss.
Für einige Songs von „36 Grad“, so die erste Single „Besser geht’s nicht“ und den Titelsong, arbeitete man mit Peter Plate und Ulf Sommer zusammen, die mit Rosenstolz zuletzt ebenfalls die ehrliche, handgemachte Musik entdeckt haben.
Der bisweilen unheimliche Erfolg von 2raumwohnung allerdings gründet sich nur zum kleineren Teil auf diese Fähigkeit, die aktuell drängenden Fragestellungen der Popevolution leicht ausgedünnt und populistisch weiter zu verarbeiten. Dass „Gaysenshi“ und „rike“ und viele andere mehr, ja selbst Menschen aus Brasilien und Russland glühende Verehrer von Humpe und Eckart geworden sind, das liegt vor allem daran, dass die Musik, die die beiden meist in Heimarbeit zusammen am Computer basteln, einem das Herz tatsächlich leichter macht, wenn man sich darauf einlässt.
Inga Humpe hat das unüberhörbare Talent, simple Weisheiten aus dem Poesiealbum so zu formulieren, dass man sie mitsummen kann, ohne vor Scham direkt im Erdboden zu versinken: „Das Leben ist nur ein Moment“ ist so eine vom neuen Album, eine andere: „Wir sind alle gut und schön, so wie wir sind.“ Das spricht vor allem Frauen an. Genauso wie die Szenerien, die sie in ihren Liedern beschreibt. Die wirken mit ihrem Personal aus schönen, leichtlebigen, alterslosen Menschen bisweilen wie ein Konglomerat aus einer Hippie-Fantasie und der Bacardi-Werbung, ein Tagtraum für die Hedonistin in Katja Mustermann.
Aber: 2raumwohnung geben vor allem dem absoluten Willen, glücklich zu sein, einen musikalischen Rahmen. Ein Wille, den sich Inga Humpe nach eher düsteren Postpunkzeiten als Sängerin der Neonbabies und späteren Sauseschritt-Ausflügen in den Schlager zusammen mit ihrer Schwester Annette erst hart erarbeiten musste. Als sie die Technoszene Berlins entdeckt, war sie eine der Älteren im Partyvolk. Ein Kind der depressiven Achtziger, das aber schnell lernt, dass der richtige Rhythmus, korrekt designte Drogen und eine durchtanzte Nacht das Leid der Welt eine Zeit lang vergessen machen. Ihr Fazit: Man muss nur genug wollen, dann klappt das auch mit dem Glück.
So ist es leicht, Böses zu sagen über 2raumwohnung. Sie sind hemmungslos in ihren Gefühlen, naiv in ihrer Selbstzufriedenheit, aufdringlich in ihrer Harmlosigkeit, im Gesamteindruck bisweilen sogar peinlich. Nein, zum Distinktionsgewinn in Sachen Pop taugen Inga Humpe und Tommi Eckart herzlich wenig. Aber die beiden sind auch mutig. In einer Zeit, in der den Menschen glauben gemacht wird, allein der Konsum mache glücklich und Geiz mache noch glücklicher, in dieser Zeit sagen 2raumwohnung: Glück ist geil. Und manche, nicht zu wenige Menschen, machen sie tatsächlich glücklich mit ihrer Musik. Und das ist sehr viel.
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