piwik no script img

zwischen den rillenGlanz und Elend des Commonwealth

London crawling: „Panic Prevention“ von Jamie T und das Debüt der Supergroup The Good, The Bad & The Queen

Das Internet hat, popmusikalisch betrachtet, große Ähnlichkeit mit dem Rotlichtmilieu. Überall stehen aufgebrezelte neue Helden herum und winken hinter den Aufmerksamkeitsfenstern, bis irgendwer sie klickt. Denn darum geht es, bei allem Spaß mit Blogs, Youtube und Myspace: möglichst engmaschig Einschaltquoten abgreifen und immer schön auf die Verkäufe achten.

Mit dieser Strategie hatten die Arctic Monkeys oder Clap Your Hands Say Yeah einigen Erfolg. Mittlerweile drängeln sich aber auch auf dem Datenhighway dermaßen viele Kandidaten auf der Überholspur, dass der erste digitale Stau absehbar ist. Jamie T wird jedoch noch ziemlich problemlos durchkommen: Seine Myspace-Seite ist in den letzten Wochen knapp zwei Millionen Mal aufgerufen worden.

Was macht den 20-jährigen Londoner Musiker nun so anders, so reizvoll? Eigentlich nichts. Er hat als Teenager mit Skatern am Southbank Centre abgehangen, die typische britische Mischung aus Pills und Thrills und Bauchweh durchlebt und irgendwann entdeckt, dass er ganz gut mit dem Bass umgehen kann. Danach hat er die Londoner Clubwelt mit ganz großen Schritten genommen: Erste Auftritte im Eckpub, später ein eigener „Panic Prevention Disco“-Abend im 12 Bar Club, da war Jamie T aus den Suburbs bis nach Soho vorgedrungen. Dort kam er mit Björk und Fatboy Slim in Kontakt, von dort aus hat ihn auch das GQ-Magazin aufs Podest gehievt und zur Sensation erklärt, weil er den Zorn der frühen Clash mit der coolen Nichtsnutzigkeit von ravenden Weekendern verbindet.

Und darum geht es auch auf seiner jetzt veröffentlichten CD „Panic Prevention“: absolut feierwillig sein, jeden Tag und mit vollem Körpereinsatz. Ständig nölt Jamie T zu schluffenden Dub-Rhythmen und ein bisschen digitalem Neo-Ska davon, wie er sich dichtmacht, wie er sich mit paar Schnäpsen oder zu viel Lager abschießt und auf Drogen fit hält bis zum Ende der Nacht – immer in der Hoffnung auf ein Mädchen, mit dem er am nächsten Morgen in einem Bett aufwachen könnte. Süßer Kater Jugend.

Während eine solche Positionierung als Stumpfkopf der Nation in Deutschland zweifellos schnell in eine erregte Unterschichtsdebatte abdriften würde, empfindet man in England die low culture, die Jamie T besingt, als angenehm gefühlsecht und deshalb sympathisch. Vielleicht weil dort keine so offensichtliche Verachtung für die working class existiert, das würde ja auch im Widerspruch zur Popkultur stehen. Vor allem macht Jamie T aber ein Türchen hin zu den diversen Emigranten-Szenen auf, die für „Panic Prevention“ musikalisch Pate gestanden haben – von der tief gelegten jamaikanischen Bassline bis zu afrikanischen Highlife-Melodien. Dass ein typischer britischer Lad überzeugend im Patois des Cockney rappen kann, ist auch ein Sieg des Commonwealth.

Die Wiese der Sachen, auf der The Good, The Bad & The Queen spielen, liegt in einer verwandten Nachbarschaft zu der von Jamie T. Auch hier wird London längs der Lumpenachse südwestlich von Paddington erkundet – Dealer, Gelegenheitsdiebe, anpolitisierte Bohemiens inklusive. Düster geht es zu, die Stadt brennt als historische Illustration der good old rebellion schon auf dem CD-Cover, und die Lyrics lesen sich wie eine Moritat voller Schwermut: New Labour ist tot, Großbritannien hat sich auf eine Zukunft voller Kriege an der Seite der USA eingelassen.

Nun wird solche Politfolklore in England traditionell am Kneipentresen verhandelt. Dass die Klage auch auf Platte funktioniert, liegt am Personal, das für The Good, The Bad & The Queen einsteht. Nach dem Aus von Blur hat Damon Albarn eine Supergroup des englischen Alternative-Pop zusammengestellt, in der Platz ist für Simon Tong, der bei The Verve die Gitarre sägte, aber auch für Paul Simonon, der in London als Ex-Clash-Bassist praktisch Heiligenstatus genießt und sein Instrument tatsächlich immer noch wie ein Rude Boy spielt. Das störrische Wummern ist wiederum eine gute Grundlage für Tony Allen, den 66-jährigen Schlagzeuger aus Fela Kutis legendärer 70er-Jahre-Band. Und weil Danger Mouse (der lange Schrat bei Gnarlz Barkley) die Produktion übernommen hat, gehen so seltsame Vermischungen wie Ennio-Morricone-Western-Gezwirbel, Kirmesmelodien, Afrobeat und Bassbomben ausgezeichnet zusammen. Jeder Song beschwört nicht nur den drohenden Weltuntergang, sondern schreit auch Hit, Hit, Hit. In London ist dieser Spagat für Pop eine Verpflichtung – und nicht bloß eine schnell downloadbare Karrierechance. HARALD FRICKE

Jamie T: „Panic Prevention“ (Labels/EMI)The Good, The Bad & The Queen (Honest Jons Records/EMI)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen