Virus aus dem Häuschen

Mehr als 1.200 Berliner haben sich seit Januar mit dem Norovirus infiziert, der zu Durchfall führt. Kinder und ältere Menschen sind besonders anfällig. Senat und Kliniken fühlen sich gewappnet

VON NADINE KLEBER

Wenn dieser Tage Heerscharen von Menschen das stille Örtchen öfter als gewöhnlich aufsuchen und ihre Fähigkeiten im Vom-Bett-zum-Klo-Sprint unter Beweis stellen, dann ist mit großer Wahrscheinlichkeit das Norovirus schuld daran. Der Krankheitserreger hat die Hauptstadt erreicht. In Berlin sind seit Jahresbeginn 1.211 Menschen an dem Virus erkrankt, bestätigt Marie-Louise Dittmar, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz.

Insgesamt 46.746 Menschen hat es laut Robert-Koch-Institut bundesweit seit Oktober 2006 befallen und mit starkem Durchfall und Erbrechen außer Gefecht gesetzt. Vier von ihnen sind seit dem 1. Januar 2007 daran gestorben. Die Dunkelziffer wird auf rund eine Million Erkrankte geschätzt. Die Zahlen mögen zunächst erschrecken. Wirft man jedoch einen nüchternen Blick auf die Tatsachen, zeigt sich ein weit weniger dramatisches Bild, als es zuletzt in einer Vielzahl von Medien verbreitet wurde.

Austrocknungsgefahr

Zum Krankheitsverlauf erklärt Professor Detlev Krüger, Leiter des Instituts für medizinische Virologie der Charité: „Die Erkrankung mit dem Norovirus ist eine unangenehme Angelegenheit, die zwei bis drei Tage dauert. Bei sonst gesundheitlich nicht beeinträchtigen Menschen ist sie jedoch harmlos.“ Das Leben sei nur in absoluten Ausnahmefällen gefährdet, etwa bei Menschen mit Vorerkrankungen, Senioren oder Säuglingen, deren Immunsysteme dem Erreger nichts entgegenzusetzen haben. Schnell bestünde dort wegen des enormen Flüssigkeitsverlusts die Gefahr der Austrocknung. Um dies zu verhindern, solle rechtzeitig ein Arzt aufgesucht werden. Allen anderen Patienten empfiehlt Krüger, die Krankheit zu Hause auszukurieren. In öffentlichen Räumen bestünde sonst die unnötige Gefahr, andere anzustecken.

Erstmals charakterisiert wurde das Virus 1972 im US-amerikanischen Norwalk, Ohio. Artverwandte Vorläuferarten waren jedoch auch schon vorher weltweit verbreitet. In wellenartigen Häufungen trat es seitdem immer wieder auf. Beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin werden die Fälle von Norovirus-Erkrankungen in Deutschland erfasst, wo sie seit 2001 gemeldet werden müssen. Häufungen wie in diesem Jahr sind keine Besonderheit: Sowohl im Winter 2002/2003 als auch zum Jahreswechsel 2004/2005 wurden besonders viele Krankheitsfälle verzeichnet.

Wandelfähiges Virus

Dass das Virus im Winter seine stärkste Verbreitung findet, kann mehrere Gründe haben, erklärt Klaus Stark vom Robert-Koch-Institut (siehe Interview). Der sehr umweltstabile Erreger könne besonders bei kalten Temperaturen auf Gegenständen lange überleben und sich ausbreiten. Die zweijährig wiederkehrende Häufung sei wahrscheinlich durch die fehlende Immunisierung der Menschen zu erklären, denn das Virus könne sein genetisches Material immer wieder ändern. Selbst Menschen, die schon in Vorjahren am Norovirus erkrankt waren, träfen deshalb auf eine neue Form des Erregers, gegen den der Körper bisher keine Immunität aufgebaut hat.

An der Universitätsklinik Charité geht man gelassen mit dem Thema um. Von Hysterie vor einer Epidemie kann dort keine Rede sein. Klaus Weist, Virologe am Institut für Hygiene und Umweltmedizin, kann „keine nennenswert massiven Vorfälle erkennen. Wie in jedem Jahr gibt es wieder einige Einzelfälle.“ Die Charité sei außerdem gerüstet, die Mitarbeiter und Patienten im Falle einer extremen Häufung von Erkrankungen mit Mundschutzen vor Ansteckung zu schützen. Auch bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz sieht man keinen Anlass, besondere Maßnahmen, etwa Informationskampagnen, zu beginnen. Lediglich ein kleiner Hinweis mit allgemeinen vorbeugenden Maßnahmen und dem Verweis auf das Robert-Koch-Institut findet sich auf der Internetseite der Behörde.