Spiel mir das Lied auf dem Druckermotor

Bei den „Open Studio Days“ im Tesla entfaltet sich prachtvoll das Nerdtum und produziert richtig gute Kunst

Erinnern wir uns – Nerds, das waren diese pickligen Jungs, die in den 80ern im Kinderzimmer Smileybilder auf dem C 64 programmierten und später den „Cyberspace“ erforschten. Wie erwachsen die Computerwelt doch geworden ist!

Heute kann sich jeder Trottel auf MySpace verwirklichen, und also sind die Nerds einen Schritt weiter gegangen. Sie machen jetzt ernst zu nehmende Kunst. Weil die Codefrickler und Soundtüftler nach wie vor die Einzigen sind, die den Dschungel der Einsen und Nullen durchblicken, findet das Publikum bei ihnen eine Kunst, die in unserer hoch technisierten Welt wirklich state of the art ist. Wer daher auf der etwas altbacken wirkenden Ausstellung der diesjährigen Transmediale keine Kicks verspürt hat, sollte einen Abstecher ins Tesla machen: Hier kann man das Nerdtum in seiner ganzen Pracht bewundern.

Die Zauberformel heißt „Open Studio“: Zwischen Haufen von Kabeln und Platinen, Mischpulten und Monitoren basteln gegenwärtig zehn Resident Artists des Medienkunsthauses an ihren Visionen. Zur Transmediale öffnen sie ihre Studiotüren und erklären ihre Arbeiten – mit einer Engelsgeduld. Es ist aber auch nicht einfach zu kommunizieren, wie etwa Jost Muxfeldts Soundinstallation „Audio Kinematics“ genau funktioniert. Im Grunde steht der Zuhörer unter einem imaginären Mobile, an dessen Enden einzelne Wörter oder Klänge fixiert sind. Die Töne wandern von Lautsprecher zu Lautsprecher und scheinen so chaotisch im Raum zu kreiseln. „Den Algorithmus dazu habe ich selbst programmiert“, sagt Muxfeldt, der auch noch die dazugehörige Amplitudenmodulation der Sinuswellen erklären könnte. „Ich glaube, mir wird schwindelig“, sagt ein Besucher.

Der schnelle und direkte Zugang zur Gefühlswelt des Publikums – darauf setzen auch andere Resident Artists.

„In yer face“ statt „Interface“ könnte etwa das Motto von Seiko Mikamis Arbeit „Desire of Codes“ lauten. Wer den Raum der japanischen Künstlerin betritt, wird sofort von einem infernalischen Geklacker überrumpelt. Das Getöse stammt von 60 Roboterärmchen, die mit Leuchtdioden bestückt sind und per Infrarotsensor die Bewegungen der Besucher verfolgen. Eine aggressive Arbeit, deren sterile Gier nach menschlichen Bewegungen ein Gefühl der Beklemmung hinterlässt.

Der weitere Gang durch die Ateliers beweist: Die Ideen der Resident Artists sind gut, die Kunst taufrisch, und Interaktivität kommt immer dann ins Spiel, wenn sich Künstler für soziale Zusammenhänge interessieren. So lädt etwa Omer Krieger, der in Israel beim Radio gearbeitet hat, zur lockeren Plauderei am Mikrofon ein. Später allerdings werden die Konversationen zu superkurzen Audiodateien verdichtet, die durch den Zufallsgenerator gejagt und ins Foyer des Tesla übertragen werden.

Ein sehr schönes interaktives Kunstwerk von Jeff Mann ist leider nur in einer Videodokumentation zu sehen. Der Kanadier hat in der Tradition der Automatenbauer mechanische Skulpturen konstruiert, dabei allerdings Gegenstände wie Teeeier, Scheren oder Küchenreiben sowie Elektromotoren verwendet. Die Skulpturen baute er in getrennten „Picknick“-Settings in zwei Stadtparks von San José auf und verlinkte die Installationen im Internet. Per Sensor aktiviert, sandte eine Skulptur den Bewegungsimpuls an das Pendant im anderen Park. Zwei Kaffeegesellschaften konnten so mit Hilfe der Teeeier kommunizieren.

In seinem neuen Projekt plant Mann, mit Sounds von Mixern und Toastern zu experimentieren. Dass man mit Elektrogeräten tolle Musik machen kann, führt der 44-Jährige schon mal an einem Druckermotor vor. Mit einer Klaviertastatur auf seinem Laptop kann er die Drehgeschwindigkeit des Motors variieren. Das Gerät gibt so erstaunlich satte und vielfältige Klangmodulationen von sich. Wie ist er darauf gekommen, dass man Druckern solche Töne entlocken kann? „Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Motorentypen“, sagt Mann: „Das hier ist ein Stepper-Motor.“ So einfach ist das. Aber man muss cooler Nerd sein, um es zu wissen. TIM ACKERMANN

„Open Studio Days“. Noch heute, 18–23 Uhr, im Tesla, Klosterstr. 68