Good Will Talking

Anne Will, bisher Moderatorin der „Tagesthemen“, wird den Polittalk am Sonntagabend in der ARD übernehmen. Eine gute Entscheidung – nicht nur für die ARD, auch für das Publikum. Aber was wird nun aus Mitkonkurrent Frank Plasberg?

VON HANNAH PILARCZYK

Wegen ihrer linken Augenbraue sei man ihr verfallen. Deshalb habe er sich gegründet, schreibt der Anne-Will-Fanclub auf seiner Homepage. Doch auch bei der Entscheidung der ARD-Intendanten dürfte der kleine braune Haarbogen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Denn mit Anne Wills leicht hochgezogener Augenbraue hat auch die Ironie ihren Platz im deutschen Fernsehen gefunden.

Als Volontärin beim Sender Freies Berlin (SFB) drängt es Will zunächst nicht ins Fernsehen – das „Bohai“ bei der Kameraarbeit sei ihr zu viel. Sie fühlt sich wohl beim Radio, nur für den Berlin-Marathon lässt sie sich ausnahmsweise vor die Kamera ziehen. Die Ausnahme wird zur Regel: Beim Lokalfernsehen des SFB übernimmt sie die Moderation von „Sportpalast“ und „Mal ehrlich“, ihrem ersten Polittalk. Es folgt die Medientalkshow „Parlazzo“ beim Westdeutschen Rundfunk, dem eigentlichen Heimatsender der gebürtigen Kölnerin. Von Köln aus gelingt ihr 1999 schließlich auch der erste große Karrieresprung – als erste Frau wird sie Moderatorin der ARD-„Sportschau“.

Zwei Jahre lang gewinnt sie dort Zuschauer- und Kritikerherzen, dann folgt der zweite große Karrieresprung. Als Gabi Bauer sich wegen ihrer Babypause aus den „Tagesthemen“ zurückzieht, wird Will ihre Nachfolgerin. Dort macht sie ihre Sache wiederum so gut, dass es fast zum Hinderungsgrund für ihren Wechsel zum Sonntagstalk wird: Wer soll denn dem schwachen Buhrow zur Seite stehen, wenn sie weg ist? Doch das ist dann selbst NDR-Intendant Jobst Plog, dessen Sender die „Tagesthemen“ verantwortet“, egal – zusammen mit seinen acht KollegInnen stimmt er für Will als Nachfolgerin von Sabine Christiansen und lässt sie ziehen auf ihrem dritten großen Karrieresprung.

„Günstige Momente“ nennt Will im taz-Interview solche Situationen, in denen die Würfel wie aus Zauberhand zu ihren Gunsten zu fallen scheinen. Das Bild vom Glückskind mag sie aber nicht – auch weil die Emma-Abonnentin findet, dass Frauen ihren Kampfeswillen nicht herunterspielen sollten: „Ich würde sagen, ich bin sehr gefördert worden, ja. Aber mir kann keiner erzählen, dass er ohne Reibungsverluste überall durchgerast ist. Ich glaube, ich habe da Distanz zu mir selbst“, erklärt sie selbst ihren Aufstieg.

Diese Distanz ist es auch, die Wills besondere Qualität als Moderatorin ausmacht. Nie hat man bei der 40-Jährigen das Gefühl, dass sie ihre TV-Formate mit sich selbst ausfüllen will. Bei ihr stehen die Inhalte im Mittelpunkt – oder werden in einem Kraftakt dorthin gestemmt. Unvergessen, wie sie zum Beispiel in einem „Tagesthemen“-Interview dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder mit Fragen nach den Neuwahlen so zusetzte, bis der nur noch wütend entgegenhalten konnte: „Das war so nicht abgesprochen!“

„Für den politischen Journalismus halte ich es noch mit dem alten Hajo-Friedrichs-Prinzip, das ich ansonsten seiner Zeit entrückt finde: Man sollte sich nicht gemein machen“, beschreibt Will ihre Arbeitsprinzipien. Wie sie damit den Sonntagstalk wieder in Richtung ernstzunehmende Auseinandersetzung steuern will, ist noch unklar. „Bis zum Sendebeginn im Spätsommer bleibt noch ausreichend Zeit, um mich vorzubereiten und am Konzept zu feilen“, hat sie gestern nach der Entscheidung der ARD-Intendanten gesagt. „Das Ziel ist allerdings klar: eine aktuelle, gesellschaftspolitische Gesprächsrunde anzubieten, die Themen aufgreift, aber auch eigene Themen setzt.“

Wer ihr dann bei den „Tagesthemen“ folgt, ist bislang offen. Als Kandidatinnen wurden zuletzt die beim Talkverteiler leer ausgegangene Sandra Maischberger, aber auch Wills eigene Vorgängerin, Gabi Bauer, gehandelt. Die Fußstapfen, die sie bei den „Tagesthemen“ hinterlässt, sind jedenfalls mehr als groß – und durch Deutschen Fernsehpreis sowie Grimme-Preis-Nominierung auch noch kräftig geweitet. Wie schon bei Bauer, aber auch bei Christiansen dürfte die ARD aber eine gute Wahl treffen. Nur ob sich dann noch mal eine Frau findet, die auch bekennt, dass sie Bayern München ankotzt, ist fraglich.

VON STEFFEN GRIMBERG

Wird jetzt alles gut? Die ARD ist befriedet, mit Anne Will hat sich quasi eine organische Lösung für die sonntagabendliche Polittalk-Nachfolge gefunden. Denn Will ist a) schlau, b) Frau und kommt wie Sabine Christiansen von den „Tagesthemen“. Das verleiht zum einen schon mal den Nimbus journalistischer Kompetenz – und sichert, da die „Tagesthemen“ zum Beritt des NDR gehören, der Nordanstalt den begehrten Sendeplatz. Denn sonntags um 21.45 Uhr garantiert allein schon der vorher laufende „Tatort“ eine Quote, von der andere Politformate nur träumen können.

Gut, die Verantwortung für den neuen Polittalk wird man künftig mit den Chefredakteuren der anderen ARD-Partner teilen müssen – „Christiansen“ war seinerzeit bewusst nicht den obersten Journalisten, sondern der Programmdirektion unterstellt worden. Lange Jahre geführt übrigens von einem ehemaligen Privatfernseh-Chefredakteur namens Wolfgang Klein. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Wichtig für die ARD ist gerade deshalb, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt. Zwar ist bislang nichts über die gestern den IntendantInnen präsentierten Sendungskonzepte in Erfahrung zu bringen. Doch eine Fortsetzung der Runde mit stichwortgebender Moderatorin, gefolgt vom selbstverliebten Radschlagen der üblichen Politpfauen und Konsorten, dem Teile der veröffentlichten Meinung auch noch halbironisch das Label „Ersatzparlament“ anhängen, wäre fatal. Natürlich nicht so sehr für die Quote, sondern für die journalistische Glaubwürdigkeit der ARD. Aber gerade weil auch Anne Will von den „Tagesthemen“ kommt, ist Vorsicht geboten. Denn „Christiansen“ ist ja längst nicht nur deswegen so herzergreifend simpel gestrickt, weil es die Moderatorin und ihre Redaktion nicht anders könnten. Sondern weil es auf diesem Talk-Termin die Kombination mit der alten Uncle-Ben’s Rice-Garantie „Gelingt immer und klebt nicht“ ist: einer Kombination aus Prominenz (der Gäste), kurzfristiger Wirkung (ihrer mehr oder weniger appetitlichen Soundbites zum Wochenanfang) und – vor allem – Quote (der Sendung). Länger als bis zum Tag danach bleibt garantiert nichts „kleben“. Und das ist, nebenbei bemerkt, oft auch besser so.

Dass nun aber ein journalistisch wesentlich anspruchsvolleres Format ebenfalls bis weit über vier Millionen ZuschauerInnen nach dem Krimi-Genuss bei der Stange hält, darf als ziemlich unsicher gelten. Und noch unsicherer ist, ob die ARD – allen voran ihr Programmdirektor Günter Struve – damit leben kann. „Sagen Sie’s ruhig weniger höflich – die Sendung war scheiße“, wurde einst bei „Christiansen“ ein externer Programmkritiker ermutigt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen: „Aber schauen Sie sich mal die Quoten an.“ Und die stimmten eben.

Vielleicht ist ein Teil der Antwort ja hier versteckt: Frank Plasberg, der im WDR-Fernsehen mit großem Erfolg den etwas anderen Polittalk „Hart aber fair“ moderiert und bei vielen als Garant für einen journalistischeren Ansatz auch am Sonntagabend galt, hat am siebten Tag der Woche auch weiterhin nichts in der ARD zu suchen. Ihm wird dafür, wie schon gestern in der taz prophezeit, im Ersten ein anderer Sendeplatz in Aussicht gestellt: „Die Fernsehprogrammkonferenz wurde beauftragt, Vorschläge für ein Format zu entwickeln“, heißt es in einer ARD-Mitteilung: „Dieses wird ab 2008 zwischen Dienstag und Freitag im Zeitraum nach der ‚Tagesschau‘ und vor den ‚Tagesthemen‘ gesendet werden. Das Format soll mindestens 60 Minuten lang sein.“ Allein – nach so einem Sendeplatz für Plasberg sucht die ARD schon seit einigen Jahren. Warum also will man hier bis 2008 – also beinahe noch ein volles Jahr – warten, prüfen und planen? Plasbergs mächtigste Befürworter im Intendantenstadl, WDR-Intendant Fritz Pleitgen und SWR-Chef Peter Voß, sind 2008 jedenfalls nicht mehr im Amt.

Aber vielleicht hören wir hier ja auch nur das Gras wachsen. Wenn also Anne Will dem Polit-Sonntagabend frischen Wind einbläst und ab 2008 Frank Plasberg im Ersten sogar einen weiteren Hauptabendtermin für den Journalismus aus den Klauen der Unterhaltung oder von der Schmonzettenfabrik Degeto zurückerobert, dann war der gestrige Montag ein verdammt guter Tag für die ARD. Zur Not gucken wir einfach weiter „Berlin Mitte“ im ZDF. Wie der Chefredakteur dort heißt? Wolfgang Klein, natürlich.