Nur ExportweItmeister verdienen gut

IG Metall und IG Bergbau, Chemie, Energie setzen überdurchschnittlich hohe Einkommen durch. Die Unterschiede bei den Tarifabschlüssen je nach Wirtschaftszweigen haben zuletzt stark zugenommen. Wird dieser Trend 2007 gestoppt?

BERLIN taz ■ DGB-Chef Michael Sommer hat 2007 wegen der guten Konjunktur zum „Jahr der Arbeitnehmer“ auserkoren. Doch bei den Lohnabschlüssen 2007 wird das Jahr für die Arbeitnehmer äußerst unterschiedlich ausfallen. „Seit fünf Jahren werden die Tarifunterschiede zwischen den Wirtschaftszweigen immer größer“, erklärte Reinhard Bispink von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gestern in Berlin.

In den exportorientierten Branchen lag laut Tarifbilanz der Böckler-Stiftung für das Jahr 2006 der Lohnzuwachs oberhalb der Preissteigerung von 1,7 Prozent – zum Beispiel in der Chemieindustrie (3,4 Prozent), der Metallindustrie (2,6 Prozent) und der Stahlindustrie (2,5 Prozent). Das seien „gute Abschlüsse“ gewesen, sagte Bispink. Dagegen verzeichneten viele Branchen, die vom Binnenmarkt abhängig sind, reale Einkommensverluste. So gab es etwa im öffentlichen Dienst im vergangenen Jahr nur 0,4 Prozent mehr Lohn. „Die starken Gewerkschaften wie die IG Metall und die IG BCE haben ihre Orientierungsfunktion für andere Gewerkschaften verloren“, sagte Bispink. Im Durchschnitt sind die Tarifeinkommen der Beschäftigten in Deutschland 2006 um 1,5 Prozent gestiegen.

Der Vorstand der mitgliederstärksten DGB-Gewerkschaft IG Metall wird heute seine Lohnempfehlung für die 3,5 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektrobranche bekannt geben. Sie wird dem Vernehmen nach bei 6,5 Prozent liegen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall strebt einen Abschluss von unter drei Prozent an. Für die 550.000 Beschäftigten in der Chemieindustrie peilt die Gewerkschaft IG BCE vier Prozent mehr Lohn an. In diesem Jahr stehen zudem Tarifauseinandersetzungen im Baugewerbe, im Einzel- und Großhandel, in der Druckindustrie oder in der Holz- und Kunststoffindustrie an.

Die größer werdende Schere bei den Lohnsteigerungen spiegle einerseits die momentane Exportstärke in Deutschland wider, gleichzeitig aber auch die Durchsetzungsfähigkeit der einzelnen Gewerkschaften, sagte Bispink. So habe sich die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zuletzt sowohl im öffentlichen Dienst als auch im Gesundheitswesen mit „reinen Abwehrkämpfen“ um die Arbeitszeitverlängerung beschäftigen müssen, da sei wenig Platz für Löhne gewesen. Bispink empfahl die Rückkehr zum „alten Geleitprinzip“, nach dem sich Gewerkschaften in verhältnismäßig schwächeren Branchen an den Abschlüssen der starken Gewerkschaften IG Metall und IG BCE orientieren könnten. „Andernfalls droht eine sozial und ökonomisch problematische Tarifspaltung“, sagte Bispink.

Auch Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln bestätigt die Tarifspaltung. Nach IW-Berechnungen seien von 1995 bis 2005 die Löhne in der Metallbranche um 32,1 Prozent gestiegen, im öffentlichen Dienst oder im Baugewerbe dagegen nur um 16,4 Prozent beziehungsweise um 15,5 Prozent. „Das ist aber keine soziale Katastrophe“, sagte Tarifexperte Lesch der taz. Denn schließlich sei es ökonomisch wichtig, dass die Tarifverdienste auch die unterschiedliche Wertschöpfung der einzelnen Branchen abbilden. THILO KNOTT