Berichte vom glücklichen Leben

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen lässt Turkmenistan keine Journalisten ins Land. Der taz-Reporter sucht deshalb eine Grenzstation inmitten der Steppe auf. Die turkmenischen Grenzgänger antworten mit offenbar auswendig gelernten Sätzen

AUS TEMIR BABA MARCUS BENSMANN

Die Grenzstation „Temir Baba“ liegt inmitten einer endlosen Steppe. Bis an den Horizont reicht die Weite. Die Asphaltstraße, die von Aktau, der boomenden kasachischen Ölstadt am Kaspischen Meer, hierher führt, verwandelt sich fünfzig Kilometer vor dem Grenzübergang in eine holprige Sandpiste.

Am 11. Februar wird in Turkmenistan ein neuer Präsident gewählt. Ein Schlaganfall hatte in der Nacht zum 21. Dezember der „lebenslangen Amtszeit“ von Saparmurad Nijasow, genannt Turkmenbaschi, ein Ende gesetzt. Doch vor den Präsidentschaftswahlen schließt sich das zentralasiatische Land von der Welt ab. So muss man hier, an der Grenze zwischen Kasachstan und Turkmenistan, zu erfahren versuchen, was im Land der Turkmenen vor sich geht.

Ein Zaun umschließt die kasachische Grenzstation „Temir Baba“ weiträumig. Von den Gebäude blättert die Farbe. Doch die Computer in dem Büro des Grenzers und die Satellitenschüssel auf dem Dach konterkarieren den Eindruck des Verfalls.

Der neunundzwanzigjährige kasachische Leutnant Kudeiberken Beisekow bestimmt, wer den Schlagbaum Richtung Turkmenistan passieren kann und wer in umgekehrter Richtung, nach Kasachstan, einreisen darf. Der schmächtige Mann mit der Fellmütze hat jedoch nicht viel zu tun. „Nur ein paar Dutzend Personen überqueren täglich die Grenze“, sagt der Offizier. Und wenn die turkmenische Seite die Grenze dicht macht, wie nach dem Tod des turkmenischen Präsidenten, kommt gar niemand.

Laut einer Vereinbarung zwischen Kasachstan und Turkmenistan dürfen die Bewohner der grenznahen Bezirke für jeweils fünf Tage ohne Visum die andere Seite besuchen. Es sind meist ethnische Kasachen aus dem Grenzgebiet, die von diesem Recht Gebrauch machen.

Nach einigem Warten kündigt eine Staubwolke am südlichen Horizont die ersten Grenzgänger an. In einem grünen, rostzerfressenen Lada bringt ein Kasache vier Frauen mittleren Alters an die Grenze. Sie kommen aus Bektasch, der nächstgelegenen turkmenischen Stadt. Auf dem Dach sind Pakete mit Geschirr und zwei Fernsehapparaten festgezurrt. „Wir fahren zur Hochzeit eines Neffen auf der anderen Seite der Grenze“, sagt der Fahrer. „All diese Sachen sind in Turkmenistan billiger.“ Aus dem wettergegerbten Gesicht funkeln bei jedem Lächeln die Goldzähne. Dabei hatte Turkmenbaschi das Tragen des blitzenden Zahnschmuckes verboten.

„Wir haben bitterlich geweint, als wir gehört haben, dass Turkmenbaschi gestorben ist“, sagen die Kasachinnen im Chor, schütten sich jedoch dabei aus vor Lachen. „Uns geht es gut, das Benzin ist billig, das Salz umsonst, und die sozialen Leistungen sind gut“, antworten sie unisono auf Fragen nach dem Leben in Turkmenistan.

Die Sätze klingen wie auswendig gelernt. Alle, die an diesem Tage von Turkmenistan aus die Grenze queren, sagen sie gehorsam auf. Zudem versichern sie einmütig, für Gurbanguli Berdimuchammedow stimmen zu wollen, der die Nachfolge Nijasows angetreten hat und als Favorit der Präsidentschaftswahlen gilt.

Gründlich werden die Reisenden, ihr Gepäck sowie das klapprige Gefährt untersucht. Dann lässt der junge Offizier Beisekow stolz einen Schäferhund um das Auto führen. Immer wieder wird an der Grenze Heroin entdeckt, das von Afghanistan aus Turkmenistan überschwemmt. Ein anderes begehrtes Gut ist das billige Benzin aus Turkmenistan. Es kostet dort pro Liter nur wenige Cent, während dafür in Kasachstan 50 Cent zu zahlen sind. „Die turkmenischen Zöllner haben diesen Schmuggel erfolgreich unterbunden“, sagt der kasachische Grenzer. Aber jenseits des Postens erstreckt sich die unendliche Weite mit ihren zahllosen Schmuggelwegen.

Noch weitere Kasachen werden im Laufe des Tages für Hochzeiten oder Beerdigungen die Grenzstation passieren. Gegen Abend tuckert ein rußgeschwärzter sowjetischer Lastwagen von Turkmenistan kommend an den Schlagbaum. Der Fahrer, ein Turkmene, hat in einem Gewächshaus in der Nähe der turkmenischen Hauptstadt Aschgabat Gurken und Tomaten gezüchtet und will diese nun nach Kasachstan verkaufen, hat aber kein kasachisches Visum. Deshalb muss er nun warten, bis sein Geschäftspartner von der anderen Seite, aus dem kasachischen Aktau, kommt, um die Ladung zu löschen. Auch er berichtet brav vom glücklichen Leben in Turkmenistan.