piwik no script img

„Der Job hat sich verändert“

Lektoren für ausländische Literatur mussten früher Goldgräber sein. Heute, in Zeiten von Mails, geht es darum, Informationsnetze zu verdichten. Ein Gespräch mit Hans-Jürgen Balmes, Lektor beim Fischer Verlag, über seine Berufsgeheimnisse

INTERVIEW CHRISTOPH SCHRÖDER

taz: Herr Balmes, wie gestaltet sich die Arbeit eines Lektors für internationale Literatur? Wie entdeckt man Autoren, wem kann man vertrauen?

Hans-Jürgen Balmes: Zunächst einmal durch Lesen. Von 100 Manuskripten, die wir von den Agenturen erhalten und prüfen, drucken wir im Schnitt eines. Die Kernmannschaft bei uns besteht aus vier Lektoren, hinzu kommen zwei Scouts, einer in New York, einer in London. Deren Funktion ist ungeheuer wichtig. Sie sondieren den Markt, finden heraus, was demnächst bedeutend sein könnte, und besorgen dann schnellstmöglich die Manuskripte. Aber lesen müssen wir. Dennoch hat sich der Job stark verändert.

Inwiefern?

Früher war es tatsächlich noch so, dass man in den einzelnen Ländern wie ein Goldgräber nach Büchern suchen musste. Heute geht alles viel schneller, zumindest, was den angloamerikanischen und europäischen Markt betrifft – es kann passieren, dass man per Mail ein Manuskript zur Prüfung geschickt bekommt und binnen einer Viertelstunde eine Entscheidung treffen muss. Durch die Mails haben heute alle ständig alles auf dem Tisch, die Filter greifen nicht mehr. Und deshalb muss man sich noch mehr auf sein eigenes Urteil verlassen.

Sprechen wir von Büchern, die im Ausland bereits im Handel sind, oder von komplett unveröffentlichten Manuskripten?

Letzteres. Mittlerweile werden uns Bücher in dem Augenblick von Agenten angeboten, da der erste Vertrag mit einem Verlag in New York oder London gerade unterzeichnet wird. Das heißt, unsere Entscheidung, einen Titel zu machen oder nicht, fällt nahezu zeitgleich mit der des amerikanischen Lektors. Deshalb muss unser Informationsnetz immer dichter werden, denn es ist für uns von entscheidender Bedeutung, welcher Originalverlag einen Roman druckt. Wenn ein Buch in den USA untergegangen ist, ist es erfahrungsgemäß nahezu unmöglich, es in Deutschland durchzusetzen – das gilt vor allem für etwas populärer angelegte Bücher, aber auch zunehmend für literarische.

Woran liegt das?

Einerseits ist für den Buchhandel der Bestsellererfolg in einem anderen Land ein wichtiger Indikator. Aber auch für die Rezensenten ist das Echo in der ausländischen Kritik ein wichtiger Orientierungspunkt. Man wartet ja auf bestimmte Bücher. Ein Kaltstart ist da schwer. Aber es gibt Ausnahmen: Nehmen wir zum Beispiel Richard Powers.

der in Deutschland ein Bestseller ist.

Ja, mittlerweile. Sein erstes Buch, „Galatea 2.2“, das noch bei Ammann erschienen ist, hat sich in etwa so gut verkauft wie ein Lyrikband. Mit dem Nachfolger „Schattenflucht“ war es ähnlich, aber die Literaturhäuser und die Presse sind auf Powers aufmerksam geworden. Damit war der Boden bereitet für ein Buch wie „Der Klang der Zeit“, von dem wir weit über 300.000 Exemplare verkauft haben, so viele wie in keinem anderen Land. Das ist ein schönes Beispiel für einen Arbeitssieg. Das versuchen wir ständig: Aber so etwas gelingt nicht oft.

Richard Powers ist aber auch darin ein Außenseiter, dass er nicht zu jener Generation von Ostküstenautoren gehört, die jetzt als „American Streber“ tituliert werden, also Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides, Nicole Krauss, Jonathan Safran Foer oder auch Marisha Pessl. Kommt dieses Etikett aus den USA, oder ist es hier in Deutschland erfunden worden?

Das ist ein Etikett, das hierzulande durch die Zeit gängig geworden ist; in den USA spricht man von den „Wunderkindern“. Franzen und Foer gehören nicht unbedingt zur selben Generation. Aber es ist schon auffallend, dass die Leser in Amerika seit den Erfolgen von Dave Eggers und Franzen einen neuen Hunger auf Romane und insbesondere Debüts entwickelt haben. Das bedeutete in den USA eine Trendwende, denn die Verkaufszahlen im Bereich Belletristik waren stark rückläufig, nicht erst seit 9/11. Es gab renommierte Verlage, die ihr literarisches Programm stark zurückgefahren haben, bis plötzlich wenige Titel sich geradezu aus dem Nichts heraus rasend verkauft haben. Aber natürlich ist diese Szene nicht so homogen, wie sie von hier aus erscheint, auch dort gibt es untereinander Nicklichkeiten und Versuche, Territorium für sich zu markieren.

Bedienen diese Autoren bewusst das Verlangen nach dem episch-breiten und insgesamt auch eher konventionell erzählten Roman?

Es handelt sich ja um Autoren, die sich einerseits in ihrer Themenwahl und Erzählweise ganz bewusst von der eher experimentellen Vorgängergeneration, von William H. Gass, William Gaddis oder Thomas Pynchon, lösen wollen, die andererseits aber deren Komplexität durchaus schätzen. Hauptsächlich geht es ihnen darum, eine zugängliche Literatur zu schaffen, die auch tatsächlich gelesen wird. Es geht darum, Geschichten zu erzählen.

Da kommt das Stichwort der Relevanz ins Spiel. Es gibt Stimmen, die erfreut feststellen, dass sich die deutsche Literatur zurzeit der amerikanischen angleiche, indem sie Themen verhandelt, die Abends in der Tagesschau zu sehen sind. Ist das für Sie ein Kriterium, gar ein ästhetisches?

Nein, das ist es nicht. Literarische Relevanz entsteht nicht durch die Behandlung journalistischer Themen. Relevanz kann bedeuten, dass junge Autoren von Erfahrungen sprechen und schreiben, die tatsächlich unser Leben widerspiegeln. Da sind wir wieder bei Powers. Gerade bereiten wir einen früheren Roman von ihm vor, „Gain“, der von der Arbeit in einem riesigen Chemiewerk erzählt und davon, welche Auswirkungen, welche Einflüsse der Faktor Arbeit auf uns hat, in welchen Netzen wir gefangen sind und herumzappeln. Das bedeutet für mich Relevanz. Und es bedeutet auch, dass die Autoren dafür eine Form finden.

Im März erscheint Marisha Pessls Roman „Die alltägliche Physik des Unglücks“ in deutscher Übersetzung. Ein Debüt, das in den USA ein Bestseller geworden ist. Wie ist der Fischer Verlag an den Roman gekommen?

Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie unsere Arbeit hier funktioniert. Man hat uns den Roman vor zwei Jahren angeboten, zu einem Zeitpunkt, als das Manuskript in etwa zur Hälfte fertig war. Uns hat der Ton und der literarische Ansatz enorm imponiert – die Geschichte einer jungen Frau, deren Vater von Universität zu Universität zieht und der seiner Tochter empfiehlt, immer erst einmal eine Lektüreliste anzulegen, um ihr Leben zu ordnen. Wir kannten noch nicht einmal das Ende und haben trotzdem und zum ersten Mal ein Buch aufgrund eines Teilmanuskripts eingekauft, weil wir glauben, dass es bei den Lesern wie bei uns Emotionen und Neugierde wecken würde.

War es teuer?

Gemessen an dem Erfolg, den das Buch dann in den USA hatte, nicht. Aber wir haben mit unserem Angebot schon klar gemacht, dass wir es haben wollen und uns auch dafür einsetzen werden. Heute hätten die deutschen Rechte gut das Fünffache gekostet.

Sich einsetzen heißt mittlerweile auch für das Lektorat: Imagebildung, eine Strategie zu entwerfen, die Autorin und Buch im Markt platziert. Die Kulturwissenschaftlerin Claudia Schmölders nannte Pessls Roman in der „Zeit“ als Zusammenspiel von Autorinnenfoto, Titel und Cover ein „Monstrum“. Verstehen Sie, was sie meint?

Nun, ich denke, sie hat das Cover missverstanden. Klar, da ist eine Rose auf dem Umschlag, aber das ist doch ganz eindeutig eine Poesiealbumrose, die stark vergrößert ist, und allein durch ihre Monstrosität wird die Tagebuchgeschichte ironisiert. Und dass die junge Frau so aussieht, wie sie aussieht, nämlich gut – dafür können weder wir noch sie etwas. Wir haben nicht gewusst, wie sie aussieht, als wir den Titel eingekauft haben.

Wobei wir ja eher in der deutschsprachigen Literatur der jüngsten Zeit den merkwürdigen Effekt hatten, dass junge Frauen mit qualitativ eher fragwürdigen Büchern reüssierten. „Fräuleinwunder“ hieß das dann …

Ja, aber auch in der amerikanischen Szene gibt es solche „Kloneffekte“. Nach dem 11. September, als man in den USA plötzlich zu bemerken begann, dass es noch eine Welt außerhalb der USA gibt, kamen plötzlich eine ganze Reihe von Romanen auf den Markt von Leuten, die beim so genannten Peace Corps gearbeitet haben, also sozusagen im Ausland ein soziales Jahr absolviert und über ihre Erfahrungen geschrieben haben. Diese Bücher waren überwiegend ziemlich schlecht, und ich weiß gar nicht, ob ein einziges davon in Deutschland erschienen ist. Oder Beispiel Franzen: Nach den „Korrekturen“ erschien in den USA eine Flut von Familiengeschichten aus dem mittleren Westen. Die meisten davon waren sehr langatmig.

In Deutschland wird das Profil eines deutschsprachigen Verlags zu großen Teilen von den deutschsprachigen Titeln geprägt. Wie kann man als Programmleiter für internationale Literatur, der Dutzende von nationalen Literaturen beobachten muss, das Profil schärfen?

Dass das möglich ist, zeigt der Hanser Verlag ganz großartig. Was uns hoffentlich gelungen ist, ist eine Verjüngung und die Etablierung einer großen Anzahl literarischer Autoren, mit denen wir planen können und durch die wir gut aufgestellt sind. Unser Programm hat jetzt schon bis Ende 2008 so gut wie keine Lücken mehr.

Sie sprachen zu Beginn davon, dass Manuskripte, die früher umständlich und teuer per Post herumgeschickt werden mussten, heute per Mausklick binnen Sekunden durch die ganze Welt gereicht werden können. Eine letzte, völlig ernst gemeinte Frage: Wofür ist dann eigentlich die Frankfurter Buchmesse gut?

Erstens ist die Buchmesse eine gute Gelegenheit, das Informationsnetz, das Radarsystem, das das ganze Jahr über gespannt wird, zu verdichten und zu perfektionieren. Auch im digitalen Zeitalter sind persönliche Gespräche immer wieder nötig. Und auch sehr schön. Hin und wieder will man ja denjenigen, mit denen man das ganze Jahr zusammenarbeitet, auch in die Augen schauen. Kommunikation kann nicht immer nur abstrakt sein. Und hin und wieder macht man dort auch überraschende Entdeckungen: Eine dänische Kollegin berichtet über einen Roman mit Engeln aus Dänemark, ein türkischer Lektor, der in Paris lebt, kennt einen schrägen Roman aus Saudi-Arabien – und unbeobachtet von den Agenten schieben wir uns heimlich Manuskripte unter der Tür durch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen