Zwei Bayern sind einer zu viel

„Mein Erstwagen ist ein BMW, mein Zweitwagen ein Audi“, sagt Huber. „Das ist die natürliche Ordnung. So würde ich es politisch auch gerne sehen“

AUS BERCHING UND AUGSBURGDOMINIK SCHOTTNER

Vielleicht sieht so Horst Seehofers soziale Kompetenz aus, von der Erwin Huber so schwärmt. Als der Bundeslandwirtschaftsminister am Mittwoch im oberpfälzischen Berching von der Rednerbühne steigen will, prescht ein stattlicher Bayer pfeilgrad durchs Publikum und ruft: „Herr Seehofer, Herr Seeeeehofer, warten’s a Mal!“

Der Herr Seehofer wartet tatsächlich. Er geht zwei Schritte zurück und steckt seinen Kopf durch ein Geländer, um dem Mann recht nah sein zu können. Ein Problem mit seinen Kühen hat der Landwirt, kein allzu großes, eher ein Alltagsproblem. Aber Seehofer, 57, nimmt sich Zeit für das Gespräch. So viel, wie es der Terminplan eines Bundesministers eben zulässt, so viel, wie es braucht, um „näher am Menschen“ zu sein, wie es die CSU auf ihren Wahlplakaten verspricht. „Do gem’s ma eana Adress“, beruhigt Seehofer den Mann, „und die geb i dann meinem Mitarbeiter. I kümmert mi drum.“

Seehofer, der Kümmerer, ist auf Wahlkampftour in Berching. Vorsitzender der CSU möchte der 57 Jahre alte Ingolstädter werden, Oberkümmerer einer Partei, die seit rund zwei Monaten ihre Vormachtstellung in Bayern ohne Not drangibt. Erst ging es um den Rücktritt Edmund Stoibers und, als das erledigt war, um sein gewaltiges Erbe. Um die besonders prestigeträchtige Hälfte „Parteivorsitz“ streiten sich nun der bayerische Wirtschaftsminister Erwin Huber und sein Parteifreund, der Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer.

Berching ist für Seehofer ein Heimspiel, ideal als Auftakt für den Wahlkampf, der sich bis zum 28. September hinziehen wird, dem Datum des Parteitags, auf dem der neue CSU-Chef gewählt wird. 9.000 Menschen wohnen hier im CSU-Kernland am Dreieck von Oberbayern, Mittelfranken und der Oberfpalz. 78 Prozent der wahlberechtigten Berchinger haben bei der vergangenen Landtagswahl schwarz gewählt, 17 Prozent mehr als im gesamten Freistaat. Seehofers Wahlkreis Ingolstadt liegt nebenan, sein Wohnort 50 Kilometer entfernt. Es könnte kaum besser laufen für ihn.

Aber nicht jeder der 15.000 Menschen auf dem Berchinger Reichenauplatz ist gut auf den Minister zu sprechen. „Auf diesem Erdenfleck wollen wir keinen Gentechnikdreck“ schreit ihm ein Plakat entgegen, als er mit 30 Minuten Verspätung auf die Bühne steigt. Ein anderes Transparent sendet „Schöne Grüße an die Merkel: Wir brauchen keine Monsanto-Ferkel“. Plakate bayerischer Biobauern, nicht gerade Seehofers beste Kumpels. Vor einem Jahr hat er sich mit denen wegen der grünen Gentechnik gezofft. Jetzt hoffe er, sagt er, „auf etwas Barmherzigkeit“, wenn er später mit ihnen in einem nahe gelegenen Kloster fachsimpeln wird.

Viermal hat Franz Josef Strauß auf dem Berchinger Rossmarkt gesprochen, „mein großes Vorbild“ nennt Seehofer den früheren bayerischen Ministerpräsidenten. Auch „mein großer Lehrmeister Helmut Kohl“ war da, 1998, da war es schon fast vorbei mit ihm. Seehofer aber will auf jeden Fall wiederkommen: „Es macht mir Spaß.“ Zügig hastet er durch seine Rede: Klimaveränderung, Bürokratieabbau, Rinderdatenbank, ländlicher Raum, amerikanische Schutzzölle, garniert mit einem Schuss Selbstkritik und Nationalstolz. Nur zur CSU und dem Wettstreit um den Parteivorsitz sagt er nichts: „Was viele Journalisten hier heute hören wollen, behalte ich für mich.“

Nur: Was wollen die eigentlich hören? Abfälliges über seinen Konkurrenten Huber? Lobendes über Stoiber? Aufklärendes zu seiner, Seehofers, außerehelichen Affäre, die ihm angeblich so sehr schaden soll, weil die CSU-Basis Ehebruch vordergründig nicht gutheißt? „Wissen’S“, sagt Erhard Dennerlein, 75, aus Nürnberg, „der Seehofer ist einer, der kann dir vererben. Des kommt aus der Rinderzucht und bedeutet: Die Jungrinder, die von dem Bullen abstammen, geben viel Milch.“ Seehofer, der potente Stier? „So könnt’ ma des sagn.“ Dennerlein steht ganz vorne an der Bühne, neben ihm sein zehn Jahre jüngerer Freund Peter Keppner, auch aus Nürnberg. Die Männer haben runde Gesichter und rote Wangen, sie sprechen ein herbes Fränkisch. Keppner und Dennerlein sind die Basis, von der in jüngster Zeit so oft die Rede ist. Landbevölkerung, grundsympathisch, der kleine Mann, als dessen Anwalt sich Seehofer versteht. „Wir sind wegen dem Seehofer nach Berching gekommen, freilich“, sagt Keppner. „Aber auch wechn dem gudn Bier und de Pferdln.“ Er und Dennerlein wählen CSU, „was denn sonst? Wir in Bayern sehen schwarz.“ Ginge es nach ihnen, würde Seehofer Parteichef: „Der ist weltoffener“, sagt Dennerlein. Und Keppner ergänzt: „Die Niederbayern, die san so finster.“

Man muss das verstehen: In Bayern, und deswegen in der CSU, spielen die Regierungsbezirke eine wichtige Rolle im Machtgefüge. Da gibt es die Ober- und Niederbayern, die Schwaben und die Oberpfälzer, die Ober-, die Mittel- und die Unterfranken. Macht sieben Machtansprüche und einen Haufen Ärger, so wie jetzt: Seehofer ist Oberbayer, Huber Niederbayer. Das ist ein Bayer zu viel. Erst gestern ging ein Schlichtungsgespräch in der Münchner Staatskanzlei erfolglos zu Ende. Huber und Seehofer sollen ihre Kandidatur dort nochmals offiziell bekannt gegeben haben, hieß es. Landtagspräsident Alois Glück: „Die Positionen waren von Anfang an so, dass das zu erwarten war.“ Wichtig sei nun, „dass wir diese sehr lange und daher risikoreiche Wegstrecke fair gestalten.“

Wo der alte Fuchs Glück Gefahr für die Partei heraufziehen sieht, hat Erwin Huber in den vergangenen Wochen stets betont lässig „den Normalfall der Demokratie“ ausgerufen. „Sportlich“ wolle er den Wettstreit mit Seehofer nehmen, sagte der Wirtschaftsminister am Donnerstag im Audi-Zentrum Augsburg. Weil: „Wettbewerb ist immer schön im Leben.“

Ein begabter Redner ist Erwin Huber nicht. Aber so ein Satz, der geht seinem heutigen Publikum natürlich runter wie Öl. Vor Huber sitzen an diesem Abend die Damen und Herren des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft, allesamt in Anzug und Kostüm, das Haar korrekt gescheitelt, die gesellschaftliche Verantwortung groß. Ganz anders als bei Seehofer und seinen Landwirten.

Aber Huber ist eben nicht Seehofer. Sein Beritt ist die Wirtschaft, Seehofers das Soziale. „Der hat ja gedacht, er sei der natürliche Nachfolger vom Edmund Stoiber“, sagt Huber der taz. Als Ministerpräsident? „Naa, als Parteivorsitzender.“ Hubers Bayerisch ist breit und behäbig. Sein R rollt beinahe amerikanisch, und wenn er spricht, vermeidet er tunlichst den Blickkontakt. Nicht unsympathisch, nur seltsam. Schließlich sollten Politiker nicht bloß der Wahrheit, sondern auch den Wählern in die Augen schauen können.

Huber macht es anders. „Ich kann in ihre Seelen sehen“, verrät er seinen Zuhörern, als er bei der Bewertung der großen Koalition in Berlin angelangt ist. Viele Bürger dächten, so Huber, die große Koalition sei Murks, „aber sie ist besser als ihr Ruf“. Die SPD, ja gut, „die haben wir noch im Boot. Aber 2009 ist die Herrlichkeit vorbei.“ 2009 kommt Huber vielleicht nach Berlin: „Wenn ich einmal noch mehr zu sagen habe.“

Daran zweifeln an diesem Abend nur wenige. Ganze Bataillone habe Huber hinter sich, sagt der Augsburger CSU-Bundestagsabgeordnete Christian Ruck der taz, besonders im Establishment der Partei. Die Landesgruppe in Berlin, deren stellvertretender Vorsitzender der 52-Jährige ist, gehöre aber nicht vollständig dazu: „Es gibt Abgeordnete, die sind für Seehofer, und es gibt welche, die sind für Huber.“ Ruck zuckt mit den Schultern. „Dann müssen wir halt warten bis September. Schadet uns nicht.“

Eiliger hat es da der designierte Bürgermeisterkandidat der Augsburger CSU, Kurt Gribl, 42. Geschickt stellt er sich aktiv am Büfett an und lädt sich den Teller voll. Die Entscheidung für oder gegen einen der Kandidaten müsse man eben mit dem Bauch fällen – „und heute Abend habe ich mich wohl gefühlt“.

Ungewöhnlich ist es, wenn Erwin Huber mit dem Wort Wohlfühlen in Zusammenhang gebracht wird. Bislang galt der 60-Jährige als der Wirtschaftsliberale, der Hardcore-Reformer, der Spröde, der mit dem kleinen Mann nicht kann. „Ich möchte hier bei Ihnen heute keine Bewerbungsrede halten“, sagt er in Richtung der Mittelständler, „aber ich würde mir bei Ihnen ganz gute Chancen ausrechnen.“

Wo so viel Siegesgewissheit herrührt, fragt man sich da. Und obwohl es in einen anderen Zusammenhang gehört, gibt Huber selbst die Antwort an diesem Abend: „Sicherheit hat einen Namen: Beckstein.“ Mit dem Innenminister hat er Mitte Januar das Erbe Stoibers unter sich aufgeteilt, in einem Nebenzimmer in Wildbad Kreuth. Seehofer fühlte sich damals übergangen. Auch heute noch kritisiert er das ständige „Durchstechen“ von Informationen, die nur ein Ziel haben: ihm zu schaden.

Diese Art der Politik, die viele mit Huber verbinden, spielt in Augsburg heute keine Rolle. Der Spott ist subtiler. „Sie wissen ja, dass ich aus Dingolfing komme, einer BMW-Stadt“, feixt Huber hier im Audi-Haus. „Mein Erstwagen ist ein BMW, mein Zweitwagen ein Audi. Das ist die natürliche Ordnung. So würde ich es politisch auch gerne sehen.“ Audi ist die Marke aus Ingolstadt. Seehofers Wahlkreis.