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Bis zur Selbstvernichtung

Cineasten sprechen vom „Kihachi-Touch“: Das Forum zeigt eine Retro zum japanischen Regisseur Okamoto Kihachi, der mit erstaunlicher Frische die Kriegstraumata seiner Generation exorzierte

VON DETLEF KUHLBRODT

Im letzten Jahr hatte man im Forum der Berlinale eine Werkschau des lange vergessenen japanischen Regisseurs Nakagawa Nobuo gezeigt; in diesem Jahr ehrt man den vor zwei Jahren verstorbenen und in Europa – abgesehen von seinem düsteren Samuraifilm „Sword of Doom“ (1966) – kaum bekannten Okamoto Kihachi. Er gilt als einer der Wegbereiter des modernen japanischen Kinos.

Zwischen 1958 und 2001 drehte Okamoto insgesamt 39 Filme unterschiedlicher Genres. Neben Kriegsfilmen stehen „Salariman“-Komödien, Samurai- und Gangsterfilme im Stile des Film noir; neben Auftragsarbeiten für die Produktionsfirma Toho selbstfinanzierte Low-Budget-Produktionen. Die temporeichen, zugleich skeptischen und humorvollen Filme des John-Ford-Fans sind, so der Filmhistoriker Ulrich Gregor, „durchweg von erstaunlicher Frische und überschäumendem Einfallsreichtum“. Cineasten sprechen vom „Kihachi-Touch“.

Das Forum zeigt nun neun Filme aus der frühen und mittleren Schaffensperiode des 1924 geborenen Regisseurs – eine Auswahl, die 2006 schon im Rahmen einer Retrospektive des Tokio-Filmex-Festivals zu sehen war.

Mit 17 kam Okamoto als junger Mann nach Tokio. Davon überzeugt, bald einberufen zu werden, verbrachte er jede freie Minute im Kino. Mit 19 nahm er einen Job bei der berühmten Produktionsfirma Toho an. „Dreieinhalb schreckliche Jahre“ war er dann Soldat. „Es war ein Wunder, dass ich den Krieg überlebt habe, denn die Statistik zeigt, dass die Quote der Gefallenen in keinem Jahrgang höher war als in meinem“, erinnerte sich Okamoto 1977 in der Zeitschrift Wide Angle.

Wie seine Generationsgenossen Kobayashi Masaki (1919), Misumi Kenji (1921) und Suzuki Seijun (1923) wurde auch Okamoto nachhaltig vom Krieg geprägt. Sein „Sam-Fulleresquer Exorzismus von Kriegstraumata“ (so der Filmkritiker Tom Mese) zeigt sich nicht nur in (Anti-)Kriegsfilmen wie „Desperado Outpost“ (1958), „The Emperor and a General“ (1967) und „Human Bullet“ (1968), sondern auch in Filmen, die den Krieg nicht zum zentralen Thema haben – etwa „The Elegant Life of Mr. Everyman“ (1963). Bis 1958 arbeitete er weiter als Regieassistent u. a. für Kurosawa Akira. 1959 wurde ihm zum ersten Mal gestattet, ein eigenes Drehbuch zu verfilmen. Die Helden des Kriegsfilms „Desperado Outpost“ sind Robin-Hood-artige Banditen, Huren, Abenteurer und Verrückte. Hinter dem ewig maskenhaften Grinsen von Toshiro Mifune, der in vielen Filmen Okamotos spielt, steht die totale Desillusioniertheit.

Sein zweiter Film, „The Last Gunfight“ (1960), handelt vom Krieg zwischen zwei Gangsterclans und einem Polizisten und ist durchweg großartig. Vielleicht noch mehr aus heutiger Sicht ist man schlichtweg begeistert von den schönen Farben, den Trenchcoats, den leichten Mädchen, den schicken Pistolen; der coolen Jazzmusik in eleganten Bars, der Musikalität auch, mit der die Geschichte inszeniert wurde. Schlichtweg unglaublich auch, wie drei superelegante Killer zur Tarnung als Barmusiker seltsame Lieder singen und dass sich diese Einlagen harmonisch ins Ganze fügen. Danach möchte man sofort Whisky trinken, viel rauchen und sich neue alte Anzüge kaufen.

Ähnlich elegant, nur in Schwarzweiß, ist der vom Film noir inspirierte „Procurer of Hell“ (1961). Sehr freue ich mich auch auf „The Elegant Life of Mr. Everyman“ (1963), einen Film des damals populären Genres der „Salariman“-Komödien, die vom neuen westlichen Stil der Mittelklasse handelten.

„Sword of Doom“ (1966), ein düster-gewalttätiger Samuraifilm, der trotz seiner verwirrenden Erzählweise im Ausland erfolgreicher war als in Japan, gilt als Meisterwerk des Genres, das Okamoto in dem vom Spaghettiwestern beeinflussten „Kill“ (1968) noch einmal variiert. Vor allem zeit- und filmgeschichtlich interessant ist es, die beiden Kriegsfilme „The Emperor and a General“ (1967) und „Human Bullett“ (1968) hintereinander zu gucken. „The Emperor and a General“, ein Prestigeprojekt zum 35. Geburtstag der Firma Toho, berichtet in Starbesetzung vom letzten Kriegstag Japans. Junge Offiziere möchten gerne bis zur Selbstvernichtung weiterkämpfen und planen einen Staatsstreich gegen den Kaiser. Dessen Rede, in der er keineswegs, wie zu erwarten wäre, „den ehrenvollen Tod der 100 Millionen“ anordnet, sondern die Kapitulation bekanntgibt, ist schon aufgezeichnet, wurde allerdings noch nicht ausgestrahlt.

Der Film sollte Okamotos größter Kassenerfolg werden. Dennoch war er mit dem Resultat unzufrieden, weil er seine eigenen Kriegserfahrungen in dem Film nicht wiederfand. So drehte er selbstfinanziert, auf 16 mm und mit Hilfe von Kollegen, die auf ihre Gage verzichteten, eine Art Gegenfilm: die Kriegssatire „Human Bullet“ (1968), die von einem jungen Soldaten handelt, der in einem Fass sitzt, an das ein Torpedo montiert ist. Wartend denkt der Held zurück. Humorvoll trocken sind seine Monologe.

Sehr berührend war die Eröffnung der Retro am Freitag. Mineko, die Witwe Okamotos, war mit ungefähr 20 ehemaligen Mitarbeitern ihres Mannes gekommen. Zwei trugen glänzende Umhänge, auf denen „The Kihachi-Touch“ stand. Traditionell festlich gekleidet sprach Frau Okamoto einleitende Worte, in denen sie hervorhob, dass sich die Filme ihres Mannes an einfache Menschen gerichtet hätten, und dem Gefühl Ausdruck verlieh, ihr Mann würde neben ihr stehen und sich freuen. Nach der Vorstellung stand Frau Okamoto am Ausgang, verbeugte sich leicht vor jedem Zuschauer und bedankte sich dafür, dass man so freundlich gewesen war, zu kommen.

Jeden Abend um 22.30 Uhr. Die Retro wird nach der Berlinale im Arsenal wiederholt

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