Unter den Linden im ewigen Eis

Die Bauarbeiten an der U 55 verzögern sich um fast zwei Jahre. Derzeit wird die letzte U-Bahn-Station Brandenburger Tor gebaut. Um den Tunnel vor Grundwasser zu schützen, entsteht unter der Erde ein hundert Meter langer Eisring

Der Untergrund beim Brandenburger Tor verwandelt sich ab März in den größten Eisschrank der Stadt. Der U-Bahnhof der Linie U 55 entsteht gerade, für den Tunnelbau sind raffinierte Techniken notwendig – etwa die Errichtung eines hundert Meter langer Eisring.

„Die Baustelle liegt direkt im Grundwasser“, erklärt BVG-Projektleiter Carsten Liebich bei der Besichtigung des zukünftigen Bahnhofs. Um das Wasser von den Tunneln fernzuhalten, wird die Umgebung nun ein Jahr lang auf bis zu minus 40 Grad abgekühlt. Erst inmitten dieses Eisschutzmantels können sich die Vortriebsmaschinen ins Erdreich graben.

Diese Bohrarbeiten dauerten über ein Jahr, so Liebich. Damit wird die U-Bahn-Linie 55 zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor voraussichtlich nicht vor Ende 2008 in Betrieb gehen. Ursprünglich sollte die Mini-Linie, die bereits mehrere hundert Millionen Euro verschlungen hat, bereits zur Fußballweltmeisterschaft vergangenes Jahr eröffnet werden.

Während oben Baucontainer, Kräne und blaue Wasserleitungen die Sicht auf das Brandenburger Tor versperren, eröffnen sich unter Betondecken zwei 25 Meter tiefe, würfelförmige Gruben. Eine massive Betonschale hält das Grundwasser zurück, rostfarbene Stahlträger halten die Wände auseinander.

Ganz ungefährlich ist der Bau der winzigen „Kanzlerlinie“ nicht. Hier wird nicht in massives Gestein gebohrt, sondern in zerbröselnden Sandboden. Was hier herausgeholt wird, ist schlammiges Erdreich. Vor Jahrzehnten hat sich hier beim S-Bahn-Bau ein folgenschwerer Unfall ereignet, erzählt ein Projektsprecher beim Rundgang durch die Grube: „Die Arbeiten fanden unter enormen Zeitdruck statt“, das NS-Regime wollte den S-Bahn-Tunnel rechtzeitig zu den Olympischen Spielen 1936 unter dem Pariser Platz eröffnen. Der Tunnel stürzte noch vor der Inbetriebnahme ein – 19 Bauarbeiter starben.

Der jetzige S-Bahnhof Unter den Linden, der parallel neben der U-55-Station liegt, bleibt wegen des weichen Bodens ebenfalls nicht unverschont. „Die Station hat sich drei Millimeter gesenkt“, so Liebich. Das liege aber im Toleranzbereich, Gefahr gehe davon nicht aus.

Heute arbeiten bis zu 20 Bauarbeiter im 3-Schicht-Betrieb an der Großbaustelle. Die Männer kauern in einem eineinhalb Meter dicken Rohr und schweißen Befestigungen an. Darin zirkuliert bald eine minus 70 Grad kalte Sole auf Ammoniak-Basis durchs Erdreich. Gegenüber sieht man erstmals, wie die Station einmal aussehen wird. Die Tunnel Richtung Bundestag sind bereits gegraben, eine Schottwand aus ein Meter dickem Beton versperrt noch den Weg. Diese Barriere soll die Anlage bei einem Wassereinbruch schützen. Noch sickert Wasser durch. „Sieht aus wie in einer Tropfsteinhöhle“, beschreibt Bauoberleiterin Cornelia Olberg treffend die Szenerie. Unter den Linden wird es mindestens noch ein Jahr weiter tropfen.

ROMAN SCHMIDSEDER