Zeitgeistrechtsprechung

In dem Spruch des Bundesgerichtshofs drückt sich das Unbehagen der Konservativen über die Erosion der Institution Ehe aus

VON JAN FEDDERSEN

Die Kläger sind natürlich enttäuscht über den Spruch, dem Vernehmen nach. Selbstverständlich auch Bürgerrechtsverbände wie der Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, bei der Zusatzaltersversorgung im öffentlichen Dienst müsse die sogenannte Homo-Ehe nicht gleich behandelt werden – die klassische Ehe von Frau und Mann könne einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gegenüber Privilegien genießen.

Die Ehe, so der BGH, dürfe wegen der Fortpflanzung und Erziehung eigenen Nachwuchses in „einem für die Zukunft der Gesellschaft wichtigen Anliegen“ bevorzugt werden. Ein verfassungspolitisch legitimer Spruch, hat doch das Bundesverfassungsgericht vor fünf Jahren erlaubt, die Homo- mit der klassischen Ehe gleichzustellen, wenn der Gesetzgeber dies wolle – zugleich aber festgestellt, dass die Hetero-Ehe als solche einen besonderen Schutz genieße.

In anderer Hinsicht aber atmet dieser Spruch den Geist konservativer Bevölkerungspolitik: die Ehe als Gefäß für die Produktion von Nachwuchs – nicht als Verantwortungsgemeinschaft zweier Menschen, bei denen auch Kinder leben. Der Hinweis auf die Fortpflanzungsfunktion der Ehe scheint wie einem Lebensstilbrevier christlicher Provenienz der Fünfzigerjahre abgeschrieben. Heutig wirkt er nicht. Alle Demografie weist auf, alle Sozialwissenschaft gibt zur Kenntnis: Kinder kommen da, wo sie gewollt sind, ob in einer Ehe oder nicht. Kein einziges wird mehr geboren, wenn seine Eltern geheiratet haben – und sind sie nicht, kommen auch nicht weniger. Offenbar ist es der Wunsch vieler gebärfähiger Frauen, Kinder nur noch dann zu bekommen, wenn sie es wollen – ob in einer standesamtlich besiegelten Ehe oder nicht.

In Wirklichkeit drückt sich in diesem RichterInnenspruch nur das Unbehagen über die Erosion der Institution Ehe aus: Es heiratet nur, wer es unbedingt will. Ein Müssen gibt es nicht mehr, seit nichtehelich geborene Kinder rechtlich nicht mehr diskriminiert werden. Niemand würde sie mehr ächten wie in der Nachkriegszeit, als alleinerziehende Frauen noch als unsittlich galten.

Es ist ein Unbehagen gerade bei Konservativen – egal welcher Partei sie zuneigen –, die vom Verfassungsgerichtsurteil 2002 schockgleich erwischt wurden: Statt die Trauung von Homosexuellen für des Teufels zu erklären, teilten die Verfassungsrichter mit, sie sei prinzipiell okay. Plötzlich war die klassische Ehe nicht mehr der hehre und einzige Leuchtturm im Lifestyle-Angebot einer bürgerlichen Welt, sondern nur noch ein, wenn auch grundgesetzlich geschütztes Institut unter anderen.

Dieses Unbehagen, das vor allem die Union bis heute nicht verlassen hat, drückt sich auch in der Frage der Homo-Ehe aus. In der von den Grünen anberaumten Bundestagsdebatte zur Novellierung des Lebenspartnerschaftsgesetzes – eine reine Schauveranstaltung, die der großen Koalition wegen ohnehin nur der plenaren Kür diente – bestritt die Unionsabgeordnete Ute Granold, dass es in der Bevölkerung eine Mehrheit für die Gleichstellung von Homo- wie Hetero-Ehen gebe. Ihre Koalitionsfreundin von der SPD, Christine Lambrecht, gab ebenfalls Bedenkenträgerisches zu Protokoll, als sie mahnte, die „sensible Materie“ brauche Zeit. Eine schönfärberische Formulierung, die wohl in Wahrheit „unappetitliche Materie“ meint. Andererseits weiß auch die Union, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft nicht abgeschafft werden kann: Diese Partei leistet sich ein ordokonservatives Milieu nur noch dann, wenn zugleich Liberalität gezeigt werden kann.

Schwer genug momentan für die wackeren Streiter für die klassische Hausfrauenfamilie, für Sitte und Ordnung, dass da eine wie Familienministerin Ursula von der Leyen eine Milliarden Euro teure Fantasie von Krippenplätzen entwirft: Politiker wie Jörg Schönbohm von der brandenburgischen Union lesen in solchen praktischen Vorschlägen nur „Zwang“. Als ob Eltern durch eine erst zu schaffende gute Infrastruktur nicht ernsthaft in eine Wahlsituation kämen – alles, was die Union bislang als Politik verkörperte, war die einseitige Favorisierung eines Familienbildes, in dem die Hausfrau und Mutter sich dem Nachwuchs widmet, weil sie das als ihre eigentliche Aufgabe versteht.

Der Kulturkampf, der sich in dem BGH-Urteil ausdrückt, ist also nicht nur auf Schwule und Lesben gemünzt – er betrifft alle Fragen, die das gesellschaftliche Zusammenleben berühren. Der BGH sagt, das Homosexuelle müsse eine gewisse Unterprivilegierung in Kauf nehmen. Und artikuliert so, als sei die klassische Hetero-Ehe eine Belohnungsmaschine, die besonders heftig Gewinn bringt, wenn Kinder aus ihr hervorgehen.

Auf absehbare Zeit jedenfalls, so der Comment innerhalb der Unionsfraktion, werde es seitens der Regierung kein Gesetz geben, das Homosexuellen gleiche Rechte einräumt. Eine gewisse Homophobie gilt, räumen namentlich nicht genannt sein wollende Unionskenner ein, als identitätsstiftend für das gesamte politische Feld des Parteikonservatismus: Man glaubt, ob realitätstüchtig oder nicht, an die Familie wilhelminisch-christlichen Zuschnitts. Gesetzlich, so der LSVD, könnte die Grundlage des BGH-Urteils ausgehebelt werden – das Parlament müsse dies nur beschließen. Aus der Union heißt es lapidar, nach dem Antidiskriminierungsgesetz werde es in dieser Legislatur keine einzige, und sei es kostenneutrale Geste im Sinne der Nichtheterosexuellen mehr geben.