: Gesetze der Thermodynamik
Jacques Rivettes „Ne Touchez Pas La Hache“ (Wettbewerb) ist formal toll, stempelt die libertäre Frau aber mit allzu großer Altherren-Lust als charakterschwache Klassenfeindin
Der Vorhang öffnet sich mit einer leichten Bewegung. Dahinter sieht man ein exquisites Tableau, in das die Kamera behutsam hineinfährt: Die feine Gesellschaft von Paris vergnügt sich in einem abendlichen Ballsaal beim Menuett. Was ursprünglich Volkstanz war, ist zum höfischen Amüsement geworden. Die Französische Revolution hat abgedankt, die napoleonische Zeit auch, jetzt folgt die Restauration.
Und weil der Adel nicht mit den militärischen Aufsteigern kann, die der Bonapartismus hochgespült hat, muss die Liebe zwischen der Herzogin von Langeais (Jeanne Balibar) und einem General, dem neu geadelten Marquis de Montriveau (Guillaume Depardieu), tragisch enden. Die historische Folie, vor der Rivettes „Ne Touchez Pas La Hache“ spielt, gehört in Frankreich zum Allgemeingut. Die Erzählung von Honoré de Balzac, auf der der Film basiert, vermutlich auch: In seinem Buch „Geschichte der Dreizehn“ lässt der Schriftsteller einen Geheimbund von Männern zusammentreffen, die der Spott auf die falschen gesellschaftlichen Allianzen ihrer Zeit eint – so wie Balzac selbst ja hin- und hergerissen war zwischen Bourgeoisie und Royalismus.
Diese Ambivalenz hat sich für Rivette und Pascal Bonitzer, die das Drehbuch auf der Grundlage von Balzacs Novelle geschrieben haben, durch die Geschichte längst erledigt. Für Rivette ist klar, dass die heuchlerische Herzogin zu Recht ins Verderben stürzt und im Kloster sterben muss, weil sie mit den ehrbaren Gefühlen des Marquis bloß willfährig spielt. Denn ihr Habitus ist lediglich Ausdruck von Standesdünkeln – da sind die Klassenfronten so verhärtet wie in den 60er-Jahren.
Zugleich will der 1928 geborene Regisseur weder moralisieren noch Ideologiekritik betreiben, dafür ist er als Filmemacher zu sehr in der Nouvelle Vague verwurzelt. Rivette interessiert, was im filmischen Raum passiert, erst vor der Kamera und dann am Schnittplatz: Wie er seine Akteure inszenieren kann, wie er sie im milden Kerzenlicht dahinschweben lässt, von der Kamera immer aus einer wohlbalancierten Halbnähe beobachtet, und wie sich der Gefühlsreigen im Walzertakt der Musik allmählich zum traumwandlerischen Spuk auswächst, das ist kunstvoll. Hier zeigt sich, wie sehr die Liebe mit ihren Projektionen und unsteten Affekten das perfekte Sujet für das Kino ist: als Trugbild.
Dass diese Metamorphose bei Rivette gelingt, liegt an der Paarung von Balibar und Depardieu. Hier die zartgliedrige, umso kühler argumentierende Herzogin, dort der dunkel in seinem Begehren aufbrausende General. Sie beharrt auf der höfischen Etikette, er will die Gewissheit des reinen Herzens. Nie geht ihnen die Symmetrie zwischen Aufwallung und Abweisung verloren, selten sind Partner auf der Leinwand dermaßen gleichwertig. Vor allem aber: Keiner verdient Mitleid und bleibt verschont in dieser Demaskerade. Das ist vielleicht die Lehre, die man mit Rivette aus der Restauration ziehen kann. HARALD FRICKE
„Ne Touchez Pas La Hache“. Regie: Jacques Rivette. Mit Jeanne Balibar, Guillaume Depardieu, Michel Piccoli, Frankreich 2005, 137 Min.
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