Hammerlösung

„Riza“ (Forum), ein bittersüßer Film über Knitterhemden und die Steigerungsformen der Istanbuler Melancholie

Lost in Istanbul. Auf den staubigen Straßen. In den dunklen nächtlichen Gassen. Die Großstadt war in der Moderne schon immer eine Seelenlandschaft. Das hält auch der türkische Filmregisseur Tayfun Pirselimoglu in seinem zweiten Spielfilm „Riza“ nicht anders. Die großen Gesten ruft er ab, die Verlorenheit im unübersichtlichen Geschiebe einer Großstadt, den einsamen Mann in der Menge.

Er tut es, indem er eine kleine Geschichte erzählt, die von Riza, dem Lastwagenfahrer, dessen Lastwagen kaputtgegangen ist. Riza, das ist ein Jedermann, einer, der sich durchschlägt, der ganz schlicht auch Pech hat. Zweimal sieht man ihn allein in einem Imbiss vor einem Teller sitzen, während von draußen auf der Tonspur das Gehupe und Gelärme der Straßen hereindringt – schon das berührende Installationen des Alleinseins. Doch damit noch nicht genug. Riza kauft beide Male ein Los, sieht kurz drauf und zerreißt das Los dann langsam. Das Glück mag anderswo wohnen; in den Bildern dieses Films wohnt es jedenfalls nicht.

Was an „Riza“ so beeindruckt, ist sein Stilwille, wobei man Stil allerdings nicht mit Glanz übersetzen sollte. Man könnte diesen Film anhand des Hemdes der Hauptfigur erzählen, wie es ganz allmählich zerknittert und verdreckt, während Riza versucht, Geld aufzutreiben, um seinen Lastwagen reparieren lassen zu können. Eine Frau gibt es auch, eine frühere Liebe und Wäschereibesitzerin. Doch weder hilft sie Riza aus der Klemme, noch wäscht sie ihm sein Hemd. Am Ende erfahren wir, dass sie auch sich selbst nicht helfen kann. Und nach der schlimmen Szene, in der sich Riza in seiner Verzweiflung zu einem ebenso beiläufig wie herzergreifend inszenierten Raubmord verführen lässt – für einen Moment wirkt alles so einfach, die Lösung aller Probleme mit einem Hammerschlag! –, sitzt Riza im Unterhemd in einem Bus. Nun hat er wieder Geld, aber den letzten Rest an Anstand hat er verloren. Wie ein Ausgestoßener sieht er aus, so hemdlos auf der Rückbank des Busses. Zurück im Hotel, gelingt es ihm nicht mehr, eine Kakerlake achtlos zu zertreten.

In seinen statischen Aufnahmen und seiner emotionalen Ungerührtheit erinnert „Riza“ gelegentlich an einen Kaurismäki-Film, nur dass sich Tayfun Pirselimoglu den Ausweg der Tragikomik keineswegs gestattet. Wenigstens bittersüß sind manchmal die Szenen in dem billigen Hotel, in dem Riza seine Zeit zubringt. Eine Männergesellschaft, die wartet, einfach nur darauf, dass irgendetwas geschieht – streckenweise ist „Riza“ schlicht ein beeindruckender Film über das Vergehen der Zeit.

In einer bestimmt zweiminütigen Szene versucht ein alter Mann nichts anderes, als – da haben wir das Hemdenthema wieder – den obersten Knopf seines Hemdes zuzuknöpfen. Es gelingt ihm nicht. Dass hüzün, die türkische Form der Melancholie, zu Istanbul gehört, weiß man spätestens, seitdem Orhan Pamuk für sein Porträt dieser Stadt den Nobelpreis für Literatur bekam. In „Riza“ geht es allerdings um eine verschärfte Form von Melancholie, im Rahmen einer ganz konkreten Geschichte: um eine Verzweiflung, die keine Form findet, um sich auszudrücken. Existenzialismus wäre dabei ein zu großes Wort. DIRK KNIPPHALS

„Riza“. Regie: Tayfun Pirselimoglu. Mit Riza Akin, Murcan Eren, Hayati Pirselimoglu, Muhammed Cangören, Türkei 2007, 109 Min. Heute, 20 Uhr, Cinestar