Rätsel um Tote im China-Lokal

Im niedersächsischen Sittensen erschossen Unbekannte sechs Asiaten. Die Opfer sind noch nicht identifiziert. Die Polizei geht bislang nicht von Mafia-Morden aus

FRANKFURT/HAMBURG taz/dpa Die Hintergründe der Morde an sechs Menschen im niedersächsischen Sittensen sind bisher noch völlig ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft Stade konnte gestern nach ersten Ermittlungen noch keine Auskunft geben. In der Nacht zum Montag waren im Chinarestaurant „Lin Yue“ im ersten Stock eines Geschäftshauses die Leichen von drei Frauen und drei Männern asiatischer Herkunft gefunden worden. Sie lagen erschossen, teils gefesselt, in verschiedenen Räumen des Lokals. Ein weiterer Mann überlebte – lebensgefährlich verletzt.

Das Verbrechen war kurz nach Mitternacht von einem 47-Jährigen entdeckt worden, der seine Frau dort von der Arbeit abholen wollte. Auch sie war unter den Toten. Die Identität der anderen Opfer konnte gestern noch nicht geklärt werden, vermutlich handelt es sich um Chinesen. Eine noch in der Nacht eingeleitete Fahndung nach den Tätern blieb bisher ergebnislos. „Wir versuchen“, sagte ein Polizeisprecher, „immer noch, uns einen Überblick zu verschaffen.“

Ob es sich bei der Tat um ein Familiendrama, einen Raubüberfall, Schutzgelderpressung oder die Folgen sonstiger organisierte Kriminalität handelt, ist ebenfalls unklar. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat zur Unterstützung der niedersächsischen Landespolizei eine Spezialistengruppe nach Sittensen entsandt, die bei der Spurensicherung helfen soll. BKA-Pressesprecher Dietmar Müller schloss gestern erst einmal aus, dass es sich um ein Verbrechen chinesischer, mafiaähnlich organisierter Triaden handeln könnte. Der Begriff spiele in der polizeilichen Ermittlungsarbeit hierzulande „keine Rolle“. Straftäter aus der Volksrepublik China gehörten bisher in der Bundesrepublik „nicht gerade zu den Top Ten“ der Kriminalstatistik. 2005 seien nur knapp ein Prozent aller registrierten Verbrechen Chinesen zuzurechnen gewesen. Die meisten davon hätten mit Verstößen gegen das Asyl- und Aufenthaltsrecht zu tun gehabt. Auch das Landeskriminalamt in Hannover erklärte, dass es in den letzten Jahren keine Erkenntnisse darüber gegeben habe, dass Chinesen im Bereich der organisierten Kriminalität in Niedersachsen agiert hätten.

Das Restaurant „Lin Yue“ existiert in Sittensen seit zehn Jahren und war in dem Ort mit rund 10.000 Einwohnern sehr beliebt. Die chinesischen Betreiber galten als unauffällig und gut integriert. Die Polizei hat die Bevölkerung und die Gäste, die dort am Sonntagabend eingekehrt waren, um Mithilfe gebeten. Sie sucht außerdem nach Hinweisen auf verdächtige Fahrzeuge. Chinesische Landsleute sagten gestern zur taz, sie seien überrascht und ratlos. Auch ihnen seien Aktivitäten einer chinesischen Mafia in Deutschland nicht bekannt. Hamburger Ermittler allerdings registrierten in den letzten Jahren in der Hansestadt eine steigende Zahl von Schutzgelderpressungen und vor allem einen Anstieg des Handels mit illegalen Zigaretten durch asiatische Gruppierungen.

HEIDE PLATEN, KAI VON APPEN