Kommissar Digital bei der Arbeit

Seit fast zwei Jahren nimmt die Polizei online Strafanzeigen entgegen. Noch sind die acht Beamten der Internetwache damit aber nicht ausgelastet – sie betreuen nebenbei auch das Bürgertelefon

Wer im Internet betrogen wird, erstattet meist auch online AnzeigeDer Missbrauch der digitalen Wache liegt nahe bei 0 Prozent

von otto diederichs

Reiner Rasts Reaktion auf die just auf dem Monitor eingegangene Strafanzeige ist ungewöhnlich: Er quittiert sie mit einem leichten Grinsen. „Ach, wieder unser Freund eBay“, sagt der 41-jährige Polizeioberkommissar. Rast ist einer von acht Beamten, die rund um die Uhr Berlins „Internetwache“ besetzen. In diesem Fall hat wieder jemand eine bei dem Online-Auktionshaus ersteigerte Ware nicht erhalten; Internetbetrug nimmt stetig zu. Und wer im Netz betrogen wird, erstattet meist auch die anschließende Anzeige online.

Seit Mai 2005 besteht diese Möglichkeit bei der Berliner Polizei. Per Mausklick lassen sich seither Anzeigen erstatten, Demonstrationen anmelden, Hinweise geben oder Beschwerden loswerden. Knapp 20.000 Berliner haben im vergangenen Jahr davon Gebrauch gemacht. Tendenz: steigend. In diesem Jahr rechnet die Polizei mit zirka 30.000 Eingaben – nur ein Bruchteil aller überhaupt gestellten Anzeigen.

Vorreiter bei der digitalen Polizeiarbeit war vor vier Jahren die Brandenburger Polizei. Acht Monate hatte man dort zur Vorbereitung und Installation gebraucht. Nachdem die Sache lief, erhielt Polizeidirektor Jörg Zähler, der Leiter der Funkbetriebszentrale (FubZ), den Auftrag, sich über die Erfahrungen im Nachbarland zu informieren. Zähler ist kein Experte für das Metier, wie er zugibt: „Ich durchblicke die Sache bis heute wenig.“

Damals hat er sich mit dem Hauptkommissar Thomas Weger einen „qualifizierten Laien“ gesucht und ist nach Potsdam gereist. „Na, dann machen Sie das auch in acht Monaten“, habe ihm Polizeipräsident Dieter Glietsch nach seinem Rapport mitgeteilt, erinnert sich Zähler. Damit war der Startschuss für die Berliner Internetwache gefallen; polizeiliche und externe Fachleute machten sich ans uniformierte Webdesign.

Tatsächlich konnte der knappe Zeitrahmen eingehalten werden – doch der erste Versuch ging nicht gut aus. Denn zunächst hatte man versucht, die Online-Wache am Server von berlin.de anzubinden. Darüber sind offiziell auch alle anderen Berliner Behörden zu erreichen. Doch viel zu häufig wird dieser Anspruch nicht eingelöst; die Seite lässt sich bisweilen nicht laden. Zeitweilige Unerreichbarkeit ist für Polizeiarbeit jedoch eher hinderlich.

Die Lösung: Die „Internetwache“ ist inzwischen direkt über die Homepage der Berliner Polizei erreichbar; jeder, der dort vorspricht, erhält eine Eingangsbestätigung und eine Bearbeitungsnummer, mit der er sich über den Fortgang seines Problems informieren kann. Anschließend wird der Vorgang – wieder online – an die sechs Polizeidirektionen und das Landeskriminalamt weitergegeben.

Die Internetwache funktioniert also wie ein großes Sieb, durch das die Strafanzeigen und Beschwerden an die zuständigen Fachdienststellen verteilt werden. Dies ist auch die Hauptaufgabe der Computer-Schupos. Morde oder Schlägereien sind noch nicht gemeldet worden. Hierfür gibt es den Notruf 110: Wenn dessen rote Lämpchen wie verrückt flackern, etwa weil gerade ein Orkan über den neuen Hauptbahnhof herfällt, geht die Internetwache ohnehin auf Stand-by – und hilft den Kollegen.

Manchmal allerdings wundert sich Reiner Rast dennoch über das, was auf seinem Bildschirm so ankommt. Einmal etwa sei ein Mann Opfer eines Straßenraubes geworden; statt es sofort zu melden, sei er erst nach Hause gegangen und habe dort seinen PC angeworfen. „Nach einer guten Stunde sind die Täter doch längst weg“, erzählt Rast verwundert. Einen Funkwagen habe er ihm trotzdem geschickt.

Der Missbrauch der digitalen Wache liegt „nahe bei 0 Prozent“, berichtet FubZ-Chef Zähler. „Da haben wir beim Notruf mehr Probleme.“ Auch Querulanten, wie jener Mann, der die Falschparker in seiner Umgebung notiert und regelmäßig Sammelanzeigen abgibt, seien eher selten. Was nach der Weiterleitung an die Fachreferate aus solchen und anderen Anzeigen wird, wissen die Internet-Polizisten ohnehin nicht. Aber warum soll es ihnen da anders gehen als den KollegInnen im Funkstreifendienst?!

Insgesamt ist Jörg Zähler mit der Entwicklung der Internetwache sehr zufrieden. „Unsere indirekte Erfolgskontrolle sind die Beschwerden“, meint er. Deren Zahl war im vergangenen Jahr mit 666 eher gering, zumal sie sich nicht nur auf die digitale Wache, sondern auf die gesamte Polizei bezieht. Online-Strafanzeigen wurden hingegen 12.843 erstattet, 449 Demos angemeldet, 4.555-mal allgemeine Hinweise gegeben – und 186 Bürger haben sich sogar online bedankt.

Noch sind die Digitalwachtmeister mit ihrem Dienst am Monitor nicht ausgelastet. Deshalb wird an den beiden Arbeitsplätzen der Internetwache auch das „Bürgertelefon“ betreut. Hier spielen sich auch immer wieder kuriose Angelegenheiten ab. Dass Rechtauskünfte gegeben werden, ortsunkundige Autofahrer telefonisch durch die Stadt gelotst und BürgerInnen durch den Behördendschungel geführt werden, gehört zum Normalfall. Dass sich jedoch die BVG meldet und die E-Mail-Adresse einer australischen Touristin mitteilt – einziger Hinweis auf die Besitzerin eines aufgefundenen Rucksacks – ist eher ungewöhnlich. „Na, ich hab der Dame dann ’ne Mail geschrieben“, berichtet Reiner Rast. Geringere Probleme hat ihm auch jener Amerikaner gemacht, der sich aus den USA meldete und sich nach dem aktuellen Berliner Theaterprogramm erkundigte. Doch als jemand wissen wollte, wo er seine artengeschützte kanadische Schildkröte anmelden müsse, „da hab ich auch erst mal dicke Backen gekriegt“, sagt er – und es anschließend ermittelt: Untere Naturschutzbehörde.

Auf seinem Internetbrowser finden sich deswegen auch die unterschiedlichsten Links – bis hin zu „Lotto-online“. Stadtführer, Fremdenverkehrsverein und Lottofee können Rast und seine Kollegen von der Interwache also auch sein. Ob das wirklich noch zur Polizeiarbeit gehört, sei zunächst dahingestellt.

Internetwachen gibt es neben Brandenburg und Berlin in vielen Bundesländern: in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg. Strikt ablehnend stehen eigentlich nur noch Bayern, Sachsen und das Saarland dem Projekt gegenüber. „Ach, auf Dauer werden auch die sich dem Trend nicht entziehen können“, prophezeit der „qualifizierte Laie“ Thomas Weger, der Berlins Internetwache maßgeblich mitgeplant hat.

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