DER FALL PAPON: UNBEWÄLTIGTE VERGANGENHEIT AUF FRANZÖSISCH
: Die Empörung kommt zu spät

Als „Generalsekretär für Judenfragen“ in der Präfektur der Gironde organisierte Maurice Papon einst von seinem Schreibtisch in Bordeaux aus die Deportation von mindestens 1.645 Menschen in die Todeslager des NS-Regimes. Als Polizeipräfekt von Paris war er Jahre später für die Repression gegen eine Demonstration verantwortlich, bei der hunderte von Algeriern erschlagen wurden. Für Ersteres wurde er, wenngleich mit einer Verspätung von mehr als einem halben Jahrhundert, als Komplize bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Für Letzteres kam er nie vor Gericht.

Papon hatte wahrlich keinen Orden verdient – schon gar nicht die Légion d’Honneur, in deren Name das Wort „Ehre“ vorkommt. Aber als General de Gaulle ihm 1961 ihm diese Medaille anheftete, war der Lebenslauf von Papon bekannt. Genau wie in den Siebzigerjahren, als Giscard d’Estaing ihn zu seinem Haushaltsminister ernannte.

Dass Papon seine Auszeichnung nun für alle sichtbar mit ins Grab genommen hat, hat in Paris Empörung ausgelöst. Doch ihr ist etwas Heuchlerisches eigen. Denn der Fall Papon ist ein Beispiel für französische Kontinuitäten. Seine Tätigkeit war ja nie klandestin, und seine Opfer haben immer wieder versucht, sich Gehör zu verschaffen. Deshalb kann niemand in der französischen Spitze behaupten, er habe nichts von seiner Rolle bei der Deportation der Juden gewusst. Doch als Papon seine Auszeichnung von General de Gaulle erhielt, galt es noch als Staatsräson, all jenes zu verdrängen, das an die französische Kollaboration auf allerhöchsten Ebenen erinnern konnte.

Diese Haltung galt bis zum Ende des zweiten Mandats von Mitterrand. Auch der sozialistische Präsident hatte einst seine Karriere als – freilich kleiner – Beamter von Vichy begonnen. Erst Chirac war es, der 1995 eine französische Mitverantwortung für die Deportationen hatte. Und erst danach setzte die – späte – Abrechnung mit Vichy ein. An die dunklen Kapitel des algerischen Unabhängigkeitskrieges hingegen wagt sich das offizielle Frankreich bis heute nur zaghaft heran.

DOROTHEA HAHN