„Wir nehmen den Jungs nicht die Autos weg!“

Ist Gender-Mainstreaming wirklich ein Umerziehungsprogramm? Susanne Baer, Leiterin des „GenderKompetenzZentrums“, beruhigt die aufgebrachte Männerwelt

INTERVIEW HEIDE OESTREICH

taz: Wie erklären Sie dem Menschen auf der Straße Gender-Mainstreaming?

Susanne Baer: Stellen Sie sich vor, Sie müssten in ihrer Gemeinde über die Sportförderung entscheiden. Sie können sagen: Da sind die Vereine, die brauchen diese Halle und jenen Platz. Sie können aber auch sagen: Wem möchten wir ein sportliches Angebot machen? Denn Sport ist ja nicht nur für diejenigen gesund, die schon im Verein sind. Dann wollen Sie vielleicht lieber eine Mehrzweckhalle bauen, für Männer und Frauen mit unterschiedlichen Interessen. Die Bundesländer haben mit diesem Denken gute Erfahrungen gemacht.

Die Bundesregierung hat auch schon einige Projekte auf den Weg gebracht. Was hat’s gebracht?

Das bekannteste Beispiel ist wohl die Strahlenschutzverordnung. Als diese neu gefasst wurde, wurde klar, dass nicht einfach Frauen wegen ihrer Gebärfähigkeit zu schützen sind, sondern auch Männer in ihrer Zeugungsfähigkeit. So hat ein Gender-Blick alte Klischeevorstellungen entlarvt, die nicht sachgemäß sind. Ein anderes Beispiel ist die Kinder- und Jugendhilfe. Eine gleichstellungsorientierte Analyse zeigt, dass es unsinnig ist, immer nur Mädchenkurse zu machen und die Jungen auf den Bolzplatz zu schicken. Jungen könnten auch mal andere Dinge kennenlernen – und die Mädchen wollen sich auch austoben.

FAZ und Spiegel werfen Ihnen vor, Mädchen in Jungenrollen zu drängen und Jungs zu Mädchen umerziehen zu wollen.

Da finden ein paar Vermischungen statt, die auch zur rhetorischen Strategie gehören. Gender-Mainstreaming ist ja zunächst nur eine Aufforderung an die Verwaltung, genauer zu prüfen, was sie für wen tut. Also: Stellen wir mit unserem Handeln mehr Gerechtigkeit her oder vertiefen wir Ungleichheiten? Das Ergebnis kann sein, dass Kinder auch einmal neue, ungewöhnliche Angebote finden und nicht nur die üblichen Schubladen. Rollenzwang führt nicht zu mehr Selbstbestimmung und mehr Gerechtigkeit. Aber niemand will kleinen Jungs die Autos wegnehmen, also keine Angst, meine Herren.

Wie kommt denn dann Volker Zastrow von der FAZ auf die Idee, es handele sich um eine „politische Geschlechtsumwandlung“?

Die Rede von der Umerziehung ist Ausdruck diffuser Ängste und gezielter Aggressionen. Diese brechen sich jetzt Bahn, weil nochmals versucht wird, tradierte Vorstellungen von Männlichkeit zu behaupten, obwohl eigentlich klar sein dürfte, dass diese nicht mehr überlebensfähig sind. Gender-Mainstreaming hat Geschlechterthemen aus der Frauenecke herausgeholt und konfrontiert jetzt auch Männer mit Fragen, über die sie bisher hinweggesehen haben. Insofern sind die Aggressionen eine Art paradoxer Erfolg von Gender-Mainstreaming.

Wie treten Ihren Gender-Trainern die Verwaltungen gegenüber? Wer etwas verändern will, stört ja wohl erst einmal?

Die Erfahrungen in der strategischen Beratung, die wir anbieten, sind sehr unterschiedlich. Viele Einrichtungen freuen sich, wenn sie zusätzliches Datenmaterial bekommen, mit dem sie zum Beispiel ihre Zielgruppen genauer bestimmen können. Anders ist es manchmal, in Unternehmen über Diskriminierung zu sprechen, denn niemand lässt sich gerne nachsagen, er oder sie diskriminiere irgendwen.

Die Frauen wollen einfach nicht in die Führungsebene, sagt Ihnen der Personalchef dann.

Ja. Nur: Wenn Sie guten Nachwuchs für ihre Führungspositionen wollen, dann sollten Sie mal gucken, ob der nicht vielleicht von den mystifizierten Arbeitszeiten und der mangelnden Flexibilität in Ihrer Führungsetage abgeschreckt wird. Das haben international agierende Firmen erkannt.

Was haben denn umgekehrt junge Männer davon, wenn man sie ermutigt, in pflegende Berufe zu gucken, wie es das Familienministerium tut?

Sie haben einen Beruf mehr zur Auswahl. Es wollen ja nicht alle Jungen ausschließlich klassische Karrieren machen.

Kann man denn guten Gewissens einen schlecht bezahlten Job empfehlen?

Das muss ja nicht so bleiben. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Jobs, in die mehr Männer strömen, besser bezahlt werden und die, in die mehr Frauen kommen, schlechter. Das könnte den Pfiff haben, dass wir uns mal Gedanken darüber machen, was wir da eigentlich genau bezahlen wollen und das vom Geschlecht unabhängig machen.

Gegen Gender-Mainstreaming wird auch ins Feld geführt, dass es sehr viel Aufwand bei wenig Ergebnissen bedeutet.

Das ist entweder sehr uninformiert oder eine Diffamierung. Politik ist heute komplex: Es geht um mehrere Ebenen – von der EU bis zur Kommune, um zahlreiche Interessen und um komplexe Ziele. Im Gender-Mainstreaming sind da beeindruckend einfache Prüffragen entwickelt worden: Erreiche ich eigentlich, was ich will und wen ich will? Das ist alles. Es ist insofern nicht kompliziert.

Nun haben einflussreiche Zeitungen gegen Gender-Mainstreaming mobil gemacht. Wie gefährlich ist das?

Ich nehme solche Dinge sehr ernst, auch weil die prominenten Gegenstimmen fehlen. Es gibt keine Koalition von Oliver Kahn bis Anne Will, die offensiv für die Gleichstellung streitet. Daher ist es bedenklich, wenn eine sehr konservative Linie diese Diskursposition besetzt – und das auch noch mit lauter falschen Behauptungen. Frauen wird immer vorgeworfen, sie seien so unsachlich und emotional. Jetzt ist emotionale Unsachlichkeit vor allem in diesen Zeitungen zu fürchten. Ich würde mir da mehr Qualität erhoffen.

Im Moment ist eine Polarisierung der Geschlechter wieder schwer in Mode. Steht man da mit Gleichstellungspolitik auf verlorenem Posten?

Nein. Das Konzept Gender-Mainstreaming wirkt langfristig. „Streaming“ ist ein Prozess. Es geht darum, etwa Artikel 3 des Grundgesetzes, der uns verpflichtet, etwas für die Gleichstellung zu tun, mit realem Handeln zu unterfüttern. Das ist nicht immer en vogue – und im Moment müssen wir dank der Medienkampagne wieder vieles klären, was ich für geklärt hielt. Aber international ist Gender-Mainstreaming doch anerkannte Politik. Es wird irgendwann auch in Deutschland weitergehen.

Ein letzter Vorwurf lautet, dass Gender-Mainstreaming quasi als Geheimprojekt eingeführt wurde, ohne demokratische Debatte. Ist da was dran?

Was für eine Verschwörungstheorie! Die Regeln, nach denen die Ministerien nun arbeiten, werden ganz normal im politischen Prozess verhandelt – und das gilt auch für die seit über sieben Jahren vielfach geregelte Pflicht, auf Gleichstellungsbelange zu achten. Eine solche Gleichstellungsverträglichkeitsprüfung ist ja letztlich eine Analogie zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Dass die Medien sich dafür nicht interessiert haben – dafür kann das Projekt ja nichts.

Länder wie Frankreich oder Luxemburg haben einen Nationalen Aktionsplan mit Zielvorgaben zur Gleichstellung. Braucht Deutschland auch so ein echtes Programm?

Ja. Nicht nur das GenderKompetenzZentrum wäre froh, wenn Politik offensiver für Gleichstellung werben würde. Im Vordergrund steht derzeit Familienpolitik, der Rest der Gleichstellungspolitik darf kein Stiefkind werden!

Wie machen Sie Männern Gender-Mainstreaming schmackhaft?

Wir tun gut daran, Debatten von dem simplen Schema „böse Männer – gute Frauen“ zu befreien. Nicht den Frauen muss mal wieder geholfen werden, sondern beide Geschlechter sind die Zielgruppe. Gender-Mainstreaming eröffnet Männern neue Möglichkeiten neben der etwas tristen Alternative: Geld ranschaffen, aggressiv, rational und cool daherkommen. Und es geht um einen sehr alten und sehr schönen Wert: Gerechtigkeit. Warum wollen wir immer weiter in einem ungerechten System leben? Das mögen kluge Männer auch nicht.

Nun ist ja die klassische Männerrolle eine Abwehrstruktur, die tief in den Persönlichkeiten wurzelt. Ist es nicht naiv, den Leuten mal eben von neuen Möglichkeiten vorzuschwärmen?

In Gender-Trainings zeigt sich oft, dass 10 bis 15 Prozent der Menschen die neuen Ideen ganz kategorisch ablehnen. Weitere 10 Prozent sind bereits überzeugt und finden Gender-Mainstreaming prima. Dazwischen gibt es die große Menge der Skeptischen, die sich nicht so schnell von alten Sicherheiten verabschieden wollen. Die lassen sich aber mit guten Argumenten durchaus überzeugen. Es ist eben auch eine Befreiung, wenn nicht immer nur in diesem einen binären Modell „Mann oder Frau“ geurteilt wird. Wir sind schließlich auch noch ganz viel anderes.