Bundesregierung sucht neue Politikberater

Die Gemeinschaftsgutachten werden künftig offen ausgeschrieben. Eine Chance, das Meinungsmonopol zu brechen?

BERLIN taz ■ Man hatte sich an sie gewöhnt: Die gemeinsamen Frühjahrs- und Herbstgutachten der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute waren ein Fixpunkt im Konjunkturjahr und wesentliche Grundlage der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Die nächste gemeinsame Vorstellung im April wird nun jedoch die letzte sein. Vom Herbst an will die Bundesregierung die Gutachten offen und europaweit ausschreiben – und sie dann nur noch an vier Institute vergeben.

Seit 1950 waren die Prognosen eine sichere Bank für das Berliner DIW, das Münchner Ifo-Institut, das Hamburger HWWI, das Kieler IfW und das Essener RWI. Einzige Änderung in dieser Zeit: Nach der Wende kam das IWH in Halle hinzu. Die Institute kassierten vom Bundeswirtschaftsministerium zuletzt 1,3 Millionen Euro jährlich.

In den letzten Jahren waren die Gutachten jedoch zunehmend kritisiert worden. Noch am moderatesten war der Vorwurf, dass die Institute mit ihren Prognosen für das Wirtschaftswachstum regelmäßig danebenlagen. Denn wer sich jemals mit Konjunkturprognosen beschäftigt hat, der weiß, dass es schon einen Unterschied von mehreren Zehntelprozentpunkten ausmachen kann, ob ein für das Jahr vorhergesagter Aufschwung schon im Januar oder erst im April beginnt. DIW-Konjunkturchef Alfred Steinherr beziffert die Wahrscheinlichkeit, das Wachstum exakt zu prognostizieren, auf 0,15 Prozent.

Trotzdem erhofft sich die Bundesregierung von der offenen Ausschreibung „besser fundierte Ergebnisse“. Was sie damit meint, war gestern allerdings nicht zu erfahren. Joachim Scheide vom neoliberalen Kieler IfW mutmaßte kürzlich, dass „Kritik von der Bundesregierung nicht gern gelesen wird“ und sie deshalb nach neuen Beratern suche.

„Mal andere Methoden und Ansätze“ wünscht sich dagegen Klaus-Werner Schatz, der Hauptstadtbüroleiter des nicht an der Gemeinschaftsprognose beteiligten einzelwirtschaftlich orientierten IW. Die Gutachten hätten sich bislang zu stark für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und zu wenig für die Unternehmen interessiert. „Es wäre gut, verschiedene Sichtweisen zu haben und transparent zu machen, wie welche Empfehlungen zustande kommen.“

Auch Rudolf Hickel, der Chef des Bremer Instituts für Arbeit und Wirtschaft, findet, dass die jahrzehntelange Politikberatung durch die sechs Institute zu einem „Monopol oder bestenfalls einem Duopol“ geführt habe. Allerdings meint er damit vor allem die Empfehlungen. Tatsächlich forderten die Gemeinschaftsdiagnostiker immer wieder mehr Eigenverantwortung und weniger Staat: Schuldenabbau statt Investitionen, Sparen, statt die Einnahmen zu steigern, Abbau statt Umbau des Sozialstaats. Nur das DIW leistete sich Minderheitsvoten für niedrigere Zinsen und höhere Löhne.

Das werde sich nur ändern, so Hickel zur taz, wenn es in dem neuen Wettbewerb nicht darum geht, „den Mainstream noch weiter zu stärken, sondern die ganze Bandbreite der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion wahrzunehmen“. BEATE WILLMS