Hurra, die Börse kracht!

Wenn die Kurse an den internationalen Börsen nach unten rauschen, geraten Spekulanten ins Schwitzen. Bei linken Kapitalismuskritikern hingegen herrscht klammheimliche Freude. Zu Recht?

VON REINER METZGER

„You ’ve gotta be cool on Wall Street, when your index is low“, sangen die alten 10cc in ihrem Wall Street Shuffle. In den vergangenen Tagen waren die Börsenmakler allerdings alles andere als cool. Da galt es, Verluste zu begrenzen, frühere Kursgewinne mitzunehmen und technische Widerstandslinien zu durchbrechen. Fast 10 Prozent minus in Schanghai – das wäre früher der sprichwörtliche Sack Reis gewesen, der in China umfällt. Heutzutage löst das eine Kurslawine rund um den Globus aus. Neben den New Yorker Indizes gingen in den vergangenen zwei Tagen auch die drei von der DAX-Familie zwischen 3 und 10 Prozent nach unten. Der bisherige Jahresgewinn also wieder weg.

Der Milliardär hat’s schwer

Was in den Nachrichten wie ein Flugzeugabsturz oder das neueste Unwetter präsentiert wird, führt beim kleinen Mann und den kapitalismuskritischen Bevölkerungsteilen (Unterschicht und Linke sagt man ja nicht mehr) zu klammheimlicher Freude: Ha, endlich geht es den Spekulanten mal ein wenig an den Kragen. Da wird es dann gleich heikel – wie immer, wenn wir Linken über den Kapitalismus sinnieren. Denn der ist kompliziert.

Was, wenn nun bumerangmäßig die fallenden Kurse für eine Verstimmung bei all den Milliardären, Hedgefonds und Heuschrecken sorgen und die Kurse dauerhaft fallen? Müssen dann nicht die Manager unserer Arbeitgeber noch mehr Menschen entlassen, noch mehr globalisieren, um die Kurse wieder nach oben zu bringen? Kann immer sein, ist aber bei diesem Kursabfall nicht sehr wahrscheinlich.

Selbst der als genial verschriene ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan verstand nach eigenem Bekunden nicht mehr die komplizierten Verbindungen von Vermögenswerten (Börsen & Co) und der realen Wirtschaft der bewegten Güter und Dienstleistungen. Aber es gibt ein paar Grundweisheiten: Wenn der Börsencrash zu groß wird, verlieren sehr viele vermögende Leute viel Geld. Das drückt nicht nur auf die Stimmung, sondern auch auf den Konsum, vor allem in den USA – denn die Reichen konsumieren dort inzwischen so viel mehr als der Rest, dass der Mittelstand nicht mehr so wichtig ist für die Konjunktur wie noch vor zehn Jahren.

Nun sind die USA weiterhin die weitaus größte Wirtschaft der Welt. Doch ihr Einfluss schwindet angesichts all der kleinen und großen Tiger in Asien. Die Milliarden Menschen in diesen Ländern sind im Schnitt viel weniger mit Infrastruktur und Konsumgütern versorgt wie wir. Das Weltklima mag davon halten, was es will – aber diese Milliarden wollen mehr. Und ihre Bedürfnisse lassen sich weitaus weniger von Börsenkursen beeinflussen als die eines klassischen Industrielandbewohners. Außerdem schaffen es die Ölstaaten, den US-Amerikanern mehrere hundert Milliarden Dollar im Jahr für Kraftstoffe abzuknöpfen. Mit diesem Geld haben sie einen Konsum- und Investitionsrausch in ihren Ländern ausgelöst.

Entlassen wird immer

Und alle diese investierenden Länder bestellen Maschinen deutscher Firmen. Die an den Börsen und in den Hedgefonds kreisenden Billionen sind davon schon weitgehend abgekoppelt. Sie spielen eine geringere Rolle als früher – mag der sogenannte Überschuss an finanzieller Liquidität auch ein wenig sinken, es bleibt immer noch ein Überschuss, der die Kapitalmaschine weitertreibt.

Und leider können auch ängstliche Arbeitnehmer beruhigt sein: Wegen eines kleinen Börsencrashs treibt ihr Vorstandschef den Kurs nicht per Entlassungen nach oben. Das tut er sowieso. Damit er im Amt bleibt und damit ihn seine Aktienoptionen reich machen.

Ein kleines Problem könnten vielleicht die Euro-Länder bekommen: Die Europäische Zentralbank reagierte bisher immer konjunkturfeindlicher als ihre KollegInnen in USA, Großbritannien oder Japan. Sie macht die Zinsen und damit das Geld tendenziell teurer und beeinflusst so in haarigen Situationen die Konjunktur negativ – was sich ja wesentlich direkter auf schadenfreudige Bevölkerung auswirkt als die Börsenkurse. Außerdem bedeuten höhere Zinsen bei einem verschuldeten Staat wie dem deutschen auch weitere Defizite und damit weitere Sparreformen.

An solchem Sparen haben dann wieder die meisten deutschen Wirtschaftsprofessoren und Lebensversicherungen ihre Freude. So freut sich immer jemand. Deshalb ist er wohl auch das überlegenere System, der Kapitalismus. Er macht immer jemanden glücklich – egal wo der Index steht.